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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Kind. Aber zurück zu dir, Henrique. Du wirst deine Eltern wiedersehen? Es hat mich gefreut, dass sie uns letztes Jahr besucht haben. Es ist wichtig zu wissen, woher jemand kommt, dann ahnt man, wohin er gehen könnte. Und da ist etwas, das uns verbindet, immerhin ist deine Mutter Spanierin   …«
    Aber was das genau war, vermochte er nicht zu sagen. War es die Art des Umgangs? War es die Sprache? Schwang etwas Bekanntes im Verhalten, im Gestus und der Art zu denken mit? Fand man sich in dem, was der andere sagte, sah und bemerkte, wieder? Für Henry galt es nicht, er hatte sich auch an den fernsten Orten in anderen wiedergefunden. Mit vielen hatte man etwas gemein, sogar mit den Bestien. Die Spanier im Allgemeinen glaubten an deutsche Technik, an Perfektion und Organisation. Sie liebten die Deutschen des Fußballs und ihrer Maschinen, der »Panzer«wegen, Tiger und Panther an allen Fronten. Das war das Bild, das die Gastarbeiter zurückgebracht hatten. Ihr Kontakt mit den Einheimischen in Gelsenkirchen und Ludwigshafen hatte sich aufs Wesentliche beschränkt, auf die Arbeit. Und eine unverständliche Sprache hatte in ihnen auch nichts in Bewegung setzen können. Henry war in La Mancha und Navarra Familien von Weinbauern begegnet, bei denen die Bettwäsche von Karstadt nach zwanzig Jahren noch originalverpackt im Schrank lag, neben dem Bügeleisen von Neckermann, und an der Costa Brava lebten Deutsche, die nicht einmal das spanische Wort für »Brot« kannten.
    Ich schweife ab, dachte Henry, ich bin schon woanders, er nahm den Ortswechsel in Gedanken bereits vorweg. Er spürte die Veränderung fast körperlich. Er sah den Vater und die Tochter, seine Lebensgefährtin, an. Beide verband viel mehr, und das war bei ihm und seinen Eltern ähnlich; lebte nicht jeder in seiner Parallelwelt und bewegte sich immer nur als Einzelner zwischen beiden? Selten teilte man die Grenzgänge mit anderen, höchstens für Momente. Um diese Erfahrung zu machen, musste man sein angestammtes Territorium verlassen. Dass seine Eltern aus zwei verschiedenen Kulturen stammten, hatte er ausschließlich als Bereicherung gesehen. Gleichzeitig war es ein Mischmasch, genau wie die besten Weine aus Bordeaux: Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc.
    Der Spätburgunder war ein Einzelgänger, er trat am besten allein auf, genau wie Henry. Er war auf diese Einzelgänger gespannt und fragte sich, ob die Menschen vom Kaiserstuhl auch Individualisten waren. Auch Weiß- und Grauburgunder waren Einzelgänger, sie passten in keine Cuvée, in keine Assemblage, obwohl sie zur Familie gehörten.

3
Dorotheas Dossier
    Es war lächerlich, erst von Bilbao nach Mallorca zu fliegen, dort drei Stunden lang im Chaos des Flughafens zwischen hastenden Menschen herumzuirren, um anschließend in die Maschine nach Frankfurt zu steigen. Zum Glück war der Kaffee gut und die Bedienung der Cafeteria freundlich. In Deutschland war es eine Gnade, freundlich bedient zu werden.
    Hecklers Verlag hatte das Ticket geschickt und bestimmte somit die Route seiner »geschätzten« Juroren. Welches bekannte Gesicht würde Henry auf diesem Mega-Event treffen? Als solchen sah er die Veranstaltung. Der Verlag war Henry so weit entgegengekommen, dass er sich den Reisetermin aussuchen durfte. So blieben ihm ein paar Tage vor dem Wettbewerb und auch danach zur eigenen Verfügung.
    Die Winzer am Kaiserstuhl würden Zeit für ihn haben, bis zu den Ferien war es weit, und die Arbeit im Weinberg hielt sich in Grenzen; außer Spritzen, Einflechten und Gipfeln war nicht zu viel zu tun.
    Der erste Besuch nach der Ankunft galt wie immer seinen Eltern. Sie besaßen eine Wohnung in Mainz, wo er übernachtete, sie hingegen hielten sich lieber in ihrem Wochenendhäuschen im Taunus auf. Da konnte sein Vater nach einem aufreibenden Arbeitsleben als Gewerkschafter in der Chemieindustrie in seinem Garten herumwerkeln, was seiner angegriffenen Lunge gut bekam. Er hatte zu spät mit dem Rauchen aufgehört.
    Eigentlich hatte Henry bereits nach der Ankunft den ersten Weinhändler besuchen wollen, um ihm sowohl die Weine von Lagar als auch die Top-Linie von Peñasco vorzustellen. Letzteres war ein heimlicher Test, er hatte weder Isabella noch Sebastián eingeweiht. Wenn er bei Peñasco einsteigen würde, würde er den Auslandsverkauf übernehmen. Doch er musste seinen Plan ändern, der LKW mit den Probeflaschen war im Rhônetal mit Motorschaden gestrandet, die Fracht hatte umgeladen werden müssen. Seine

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