Sein letzter Burgunder
nicht, einige Flaschen zu öffnen. Es waren allesamt gute Weine, nicht die Spitze für Festtage oder Nobelgastronomie, mehr die für alle Tage, handwerklich sauber, typisch für die jeweilige Sorte und keine Blender.
Der Weinhändler wunderte sich noch immer, dass Henry zur Baden-Baden Wine Challenge fuhr, sich an dem Mumpitz beteiligte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du deine Zeit für derartigen Unsinn opferst.«
»Ich möchte selbst beurteilen, ob das Unsinn ist. Auch in deinem Laden stehen prämierte Flaschen. Der Wettbewerb steht immerhin unter dem Patronat der InternationalenOrganisation für Rebe und Wein. Außerdem glaube ich nicht, dass jemand daran teilnimmt, um vorsätzlich zu betrügen. Die OIV hat klare Regeln.«
Der Weinhändler schüttelte noch immer den Kopf. »Da basteln sich die Herrscher des Marktes ihre Organisation, in der sie die Standards schaffen, die ihren Geschäften nutzen. Das ist überall dasselbe. Hat die FAO, die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen, den Hunger beseitigt? Nein, heute hungern mehr Leute auf der Welt als bei ihrer Gründung. Haben die Klimakonferenzen jemandem genutzt außer den Fluggesellschaften? Nein, sie haben noch mehr Dreck in die Umwelt geblasen. Eine Katastrophe wie Fukushima bringt einige Leute kurz zum Nachdenken – kurz. In diesen Organisationen schieben sich die Nichtstuer die Posten zu, kassieren uns ab, wie in Brüssel, der Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Politiker …«
Derartige Debatten, bei denen sich lediglich politischer Unmut äußerte und die zu nichts führten, ärgerten Henry. »Du widersprichst dir, Meier! Eben hast du die Erfolge der Sasbacher aufgezählt. Einerseits verachtet ihr Händler den Rummel, andererseits macht ihr mit und schielt auf die Medaillen. Hast du mal bei einem Wettbewerb mitgemacht?«
»Wozu?«
»Es gibt Regeln, nach denen Veranstalter und Jury sich richten müssen.«
Meier ging zum Weinregal, streckte den Arm aus und zeigte auf eine Flasche mit einer silbernen Münze. »Hier, die Silbermedaille des Concours Mondial de Bruxelles. Ich habe mir die Liste der Juroren angesehen. Journalisten wie du, Manager, Einkäufer, Firmenbosse, die feiern da ihre Feste. Und was interessiert es meine Kunden, wie die diesen Wein bewertet haben?«
Es war eine Azabache Reserva aus Aldeanueva in La Rioja, Henry kannte den Wein. Eine Goldmedaille hatte er nicht verdient, Silber hingegen hielt er für gerechtfertigt.»Jede Jury hat ihre Kriterien, nach denen sie beurteilt, ihr Recht, die Dinge ihrer Sicht nach zu sehen, und letztlich entscheidet der Kunde, mit welcher Flasche er an die Kasse kommt.«
»Ich erziehe meine Kunden zu ihrem eigenen Geschmack«, entgegnete Meier verstimmt.
»Das tust du anhand deiner Weine.«
Meier gab nicht auf. »Ich muss zugeben, dass ein Aufkleber in Gold den Blick anzieht. Jeder denkt, aha, eine Medaille, da kann der Wein nicht schlecht sein. Dann probier mal die Massenware im Supermarkt, prämiert vom jeweiligen Weinbauverband, da erlebst du wahre Geschmackswunder. Und dann die Goldene Kammerpreismünze. Wer weiß schon, wie sich die Jury zusammensetzt? Das wird bei euch in Spanien nicht anders sein.«
Da hatte Meier ihn erwischt, er konnte dessen Bedenken nur bestätigen. »Dreihundert Euro für die Goldmedaille, wenn man sich darauf einlässt«, musste Henry zugeben.
»Und was zahlen sie dir, damit du darüber schreibst? Neben den sechsunddreißig Flaschen frei Haus, damit dein Keller gefüllt bleibt.«
Das ging Henry zu weit. »Ich habe keinen Keller, aber ein Berufsethos, auch wenn es altmodisch klingt!« Er fühlte sich gekränkt. Gerade wegen seiner Einstellung arbeitete er allein, und deshalb arbeitete auch Meier mit ihm.
»Es gibt korrekte Kollegen. Eine Einladung zum Mittagessen und eine Flasche, um die Weine nachträglich zu beschreiben, schlage auch ich nicht aus.«
»Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel«, meinte Meier. »Wer von meinen Kunden blickt denn noch durch, wenn nicht einmal ich diese Prämierungen verstehe? Da gibt es die London Wine Challenge, in Wien ist es die awc vienna und den Salon Österreich, ach, der Falstaff-Preis. In Kanada heißt das Ding Sélections Mondiales des Vins, in Paris Concours Général Agricole, und hier in Deutschland sind esBaden-Baden und die Wine International Hamburg. Und die leben in heftigem Clinch, soweit ich weiß.«
»Dir ist nicht zu helfen, Meier.«
»Jetzt weiß ich, warum du nach Baden-Baden
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