Sein letzter Burgunder
auch die besten Winzer sind, musst du selbst herausfinden. Innen drin, in Vogtsburg und Oberbergen, gibt’s auch Spitzengewächse. Aber du hältst dich weiter außen, fährst über Niederrotweil nach Königschaffhausen und Endingen, ein hübsches Städtchen, und wenn du wieder in Riegel bist, ist die Runde komplett. Dann kommen die Straßen einmal kreuz und einmal quer hindurch. Einen Tag musst du dafür veranschlagen.«
Henry beugte sich über die Karte und suchte den Tuniberg, eine Kalksteinerhebung etwas weiter südlich, querab von Freiburg, Kalkstein, mit Löss und Lehmauflagen, auch hier spielten die Burgundersorten die Hauptrolle.
»Gehört der mit zu deinem Programm? Davon hast du vorher nichts gesagt. Mit einigen Winzern konnte ich Termine machen, die stehen hier auf der Liste, andere musst du selbst anrufen. Du kannst dich dazu gern an meinen Schreibtisch setzen.«
Henry nahm die Einladung an und verbrachte die nächsten Stunden am Telefon, vereinbarte Besuche oder bestätigte die bereits abgesprochenen Termine. Er hatte die für ihn interessanten Winzer angeschrieben, seinen Newsletter dazugelegt und seine Wünsche nach Besuch und Proben geäußert. Nach anfänglicher Skepsis, so hatte er es erlebt,zeigten sich die Badener aufgeschlossen und entgegenkommend, lange nicht so unergründlich wie die Rheinländer, und längst nicht so verschlossen wie Franken. Es war eine angenehme Überraschung, denn seine Landsleute aus der Reserve zu locken, sie zu einer Unterhaltung zu bewegen und ihnen ein Lächeln abzugewinnen war oft mühselig.
Morgen würde er in den Kaiserstuhl fahren, die Rundfahrt absolvieren, sich eine Unterkunft suchen und sich dann mit den Winzern und ihrem Wein beschäftigen. Wie lange würde er brauchen, um ein Gefühl für die Menschen zu bekommen, die Landschaft in sich aufzunehmen, und den Wein zu begreifen? Obwohl es absurd klang, ging es umso schneller, je mehr Zeit er sich ließ.
Wein war viel mehr als ein landwirtschaftliches Produkt, ein Getränk; Wein war Kultur und Geschichte. Er war ein langer Zyklus von Blüte zu Blüte, von Lese zu Lese und von einer winterlichen Ruhephase zur nächsten in Kälte und Stille im Weinberg. Und wenn Spätburgunder oder Pinot Noir auch im Burgund wuchs, im Napa Valley und in Chile auf dem Weingut von Isabellas Onkel, immer verwies diese kapriziöse Rebe auf diesen Raum, die Beschaffenheit der Weinbergslage und die Fähigkeiten des Winzers oder der Winzerin, damit umzugehen.
Die Wetteraussichten waren gut, es würde in Deutschlands Süden so warm wie in Spanien werden. Er war gespannt darauf zu erfahren, wie in Hamburg der Wettbewerb über die Bühne ging. Es konnte ihm in Baden-Baden nutzen, die Hintergründe zu kennen und die anderen eben nicht wissen zu lassen, dass man informiert war.
Sie kamen spät zurück, der Abend war kurzweilig gewesen, Henry hatte Dorothea tatsächlich von ihrem Kummer ablenken können, und sie hatten viel gelacht, besonders bei seinem Bericht der Andalusienreise. Sie setzten sich auf ein letztes Glas zusammen, als Henry sich an einen Winzer erinnerte, den er vor Jahren getroffen hatte und der als einerder Top-Winzer des Kaiserstuhls galt. Henry grübelte eine Weile, bis ihm der Namen einfiel: Jürgen Templin!
»Hast du mal wieder von ihm gehört?«, fragte Henry, als ihm endlich der Name eingefallen war. »Du müsstest ihn kennen. Ich habe seinen Namen in keinem aktuellen Weinführer gefunden, auch nicht im Internet.«
»Stimmt, der Mann war ziemlich bekannt, aber er ist von der Bildfläche verschwunden. Aber ich habe hier etwas, das für dein Interview mit Amber hilfreich sein könnte.« Dorothea holte eine Mappe aus ihrem Arbeitszimmer und reichte sie weiter. AAA stand in großen Lettern auf dem Umschlag – Alan Amber Ambitions. »Es ist ein Dossier über ihn. Ich habe einiges gesammelt und rumgefragt, nachdem ich wusste, was du vorhast. Vielleicht deckt sich das eine oder andere mit dem, was du selbst hast. Ich konnte so ziemlich alles dokumentieren, nur über seine Jugend, über die sogenannten Lehrjahre, habe ich nichts gefunden. Man weiß nur, dass er sehr schnell bekannt wurde, plötzlich überall zitiert wurde, und dann ging es aufwärts. Gleichzeitig kam sein ›Triple A Magazine‹ auf den Markt. Ich glaube, er hat damals bewusst darauf abgezielt, sich an das Image der Rating-Agenturen zu hängen. Angefangen hat er in britischen Zeitungen mit der Bewertung italienischer Weine, Barolo, Brunello und
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