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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Rebstöcke verwendet. Henry erinnerte sich mit Grausen an die ersten Barriqueversuche fränkischer Winzer, die Ähnliches mit viel zu dünnem Dornfelder versucht hatten, was kläglich gescheitert war. In dieser Zeit hatte er begonnen, über Wein zu schreiben.
    Der Orchidea aber würde sich weiterentwickeln und auch in Jahren noch Format beweisen, ähnlich wie die anderen Weine der Roten Halde. Die nächste Überraschung amSchluss der Probe war ein Cabernet Sauvignon. Eine Seltenheit, dass dieser Wein in nördlichen Regionen seine internationale Form erreichte, aber dieser hier konnte mit seinen südeuropäischen Konkurrenten gut mithalten, wenn nicht in Größe, so doch in Finesse. Aber auch das Erreichen von Größe war nur eine Frage des Klimawandels.
     
    Der Ort Eichstätten mit dem Weingut Mendel stand als Nächstes auf dem Besuchsprogramm. Erst als in Henry bei Besichtigung und Weinprobe ein Bild der Seriosität des Winzers entstanden war, fragte er sich tastend an Templin heran. Er war bekannt, doch fast vergessen, Mendel wusste sowohl von seinen Erfolgen wie auch von seinem Scheitern. Henry ging es aber um etwas anderes. Ihn ließ die Frage nicht mehr los, ob letztlich der Tod seiner Lieben, der Kummer, der Alkoholismus   – oder die Machenschaften des neuen Besitzers zum Verlust des Weingutes geführt hatten. Das war ein Ansatzpunkt. Hatte man ihn absichtlich in die Kreditfalle laufen lassen?
    Diese Frage konnte Mendel nicht eindeutig beantworten, aber zumindest wies er den Verdacht nicht von der Hand. Nach dem Autounfall hatte niemand den Winzer wiedererkannt, er habe leider auf keine Ansprache reagiert, keinen Rat angenommen und erst recht keine Hilfe akzeptiert. Dann hatte es plötzlich geheißen, dass Templin hätte verkaufen müssen.
     
    Am Nachmittag bezog sich der Himmel, aber die Wolken logen, es regnete irgendwo weit weg am Horizont. Mit dem Spritzen konnte gewartet werden, Hitze und Feuchtigkeit waren ideal für Sporen und Pilze. Kaum waren die Blätter der Weinstöcke getrocknet, rasten an solchen Tagen die Winzer auf ihren schmalen, gerade mal rebzeilenbreiten Schleppern los, hinter sich Wolken von Schwefel, Fungiziden und Bordelaiser Brühe auf den Blättern lassend.
    Auf dem Parkplatz vor der Weinstube des Gutes Salwey in Oberrotweil parkte Henry neben einem silbernen Lancia, das I für Italien im Nummernschild und ein SI für Siena. Vor dem Eingang zur Weinstube stand ein Tisch mit Flaschen und Gläsern, ein Mann saß da und probierte, er beobachtete Henry aus zusammengekniffenen Augen. Er war im gleichen Alter wie Henry, war braun gebrannt, als käme er geradewegs vom Strand, der graue Wochenbart gab ihm ein distinguiertes Aussehen. Das Haar war ein wenig schütter und auch ziemlich grau. Er hatte seine kleine runde Brille vor sich auf dem Tisch liegen, daneben ein Büchlein. Die Hände des Fremden waren keinesfalls die eines Bauern, und für einen Weinhändler, der Kisten schleppte, waren sie nicht robust genug. Als Henry den zerbeulten silbernen Koffer unter dem Tisch entdeckte, wusste er Bescheid   – ein Kollege   – aus der Zunft der Fotografen. Dieser hier musste anders sein, denn seine Kollegen ließen sich höchst selten zum Probieren bewegen. Eigentlich betraten sie Weingüter nur auf der Suche nach Motiven oder der Szenerie, die sie im Kopf längst zusammengebastelt hatten.
    Der Winzer sei noch unterwegs, erklärte die junge Frau in der Weinstube, Henry solle einstweilen mit dem Herrn da draußen die Weine probieren, später könne man zu dritt die Weinberge und das Weingut besichtigen. »Er spricht übrigens Deutsch!«
    Fotografen konnten entsetzlich auf die Nerven gehen: Empfindlich wie Mimosen, von ihren Gefühlen getrieben, vom Licht angezogen wie die Motten, bestimmt von der Tageszeit, und alles und alle hatten sich ihnen unterzuordnen. Sie brauchten ihr Bild! Aber Henry hatte auch mit einigen zusammengearbeitet, die ihn das Hinschauen gelehrt hatten. Neugierig, welchen Vertreter der Spezies er vor sich hatte, trat er an den Tisch.
    »Man hat mich zu Ihnen geschickt.« Henry wies mit dem Daumen zum Probierraum. »Sie hätten was Gutes im Glas.«
    »O ja, das kann man so sagen«, antwortete der Fotograf und setzte die Brille auf. Die runden Gläser ließen ihn kauzig und intellektuell wirken. »Ich habe erst drei probiert, soweit ich das beurteilen kann, sind sie hervorragend.«
    »Dann sind Sie vom Fach?«
    Der Fotograf verstand die Frage richtig. »Meine Frau betreibt

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