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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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sicher nicht, dachte er, der Fotograf ist in Ordnung. Doch spielte man seine Rolle immer bewusst? Wann wird sie zur zweiten Natur? Er erinnerte sich an Jürgen Templin und den Fahrer, und er erzählte Gatow davon. Als er merkte, dass Signora Vanzetti zuhörte, wechselte er ins Englische. Ihr schien es durchaus möglich, dass der Winzer betrogen worden war. Auch die Winzer aus Kalabrien rückten näher, sie zeigten sich zum ersten Mal interessiert. Für die Frau war der Unfall schockierend, immer wieder fragte sie nach, und es entspann sich ein Gespräch darüber, wie sehr man auf den Partner angewiesen sei, in jedwedem Sinne.
    Gatow schaute auf, eine Kellnerin stürmte schreiend auf die Terrasse, und es dauerte einen Moment, bis man ihr Stammeln verstand.
    »Ein Arzt! Wir brauchen einen Arzt! Herr Brunner verblutet!« Außer sich kam sie an den Tisch mit der italienischen Gesellschaft, wo sich die Hotelchefin niedergelassen hatte.
    »Er hat sich geschnitten, in die Hand, in die Finger, er verblutet, o Gott, überall ist Blut   – in der Küche.«
    Die Hotelchefin, Frau Brunner, sprang wütend auf und schüttelte ihren Kopf, als wolle sie das Gesagte nicht hören. Sie schimpfte laut auf Italienisch, Henry blickte Gatow an, der die Flüche sicher verstand, aber der starrte ihr nur schweigend hinterher.
    Es fand sich tatsächlich ein Arzt. Er hatte Mühe, sich seinen Weg durch die Gäste zu bahnen. Die Stimme der Hotelchefin überschallte alles, jetzt gab sie Anweisungen ans Personal, die Gäste im Auge zu behalten, damit sich niemand im Gedränge, ohne zu zahlen, absetzte.
    »Er verblutet   – und seine Frau macht sich Sorgen um die Kasse?« Henry gefiel ihr Verhalten überhaupt nicht.
    »Entweder ist sie kalt wie Eis, oder er schneidet sich häufi ger «, meinte Gatow. Henrys Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Dass mit dem Koch etwas nicht stimmte und es mit seiner Ehe nicht zum Besten stand, sah ein Blinder. Ach   – was ging es ihn an!
    Die Gäste kehrten zurück auf ihre Plätze, niemand prellte die Zeche. Ruhe kehrte erst ein, nachdem der Arzt mit dem Koch, bei dem er die Blutung gestillt und einen Notverband angelegt hatte, zum Krankenhaus gefahren war. Aber die Stimmung war hin, besonders als eine Kellnerin erzählte, wie schrecklich die Wunde sei und dass in der ganzen Küche überall das Blut auf die Fliesen gespritzt sei.
    »Der Chef hat sich fast die ganze Hand abgeschnitten, mit dem Filetiermesser!«
    Die Lust am Essen war vergangen, aber niemand war ungehalten, kein böses Wort fiel   – nur Frau Brunner beschimpfte wütend die Kellnerin und kehrte nicht zum Tisch zurück.
    »Kennen Sie die Wirtin?«, fragte Henry befremdet, was Gatow verneinte.
    »Ein Kollege hat uns das ›Il Calice‹ empfohlen. Von derKüche und der Weinkarte her soll es eines der besten Restaurants im Kaiserstuhl sein, aber anscheinend weniger von der menschlichen Komponente. Ab morgen wird es lustiger, dann amüsieren wir uns gemeinsam über Alan Amber. Meine Frau hält wenig von ihm. Wenn Sie ein Interview mit ihm führen, darf ich fotografieren?«
    Statt beim Grappa wurde das Abkommen beim Kaffee besiegelt. Vor Henry lag eine Fahrt durch den nächtlichen Wald und die Serpentinen.
     
    In aller Frühe brachte er seine restlichen Musterflaschen ins »Il Calice«. Gatow war längst unterwegs, um den Morgen zu nutzen. Er hatte den Lagerplatz für ihn arrangiert, die Weine blieben bis nach der Rückkehr von der Challenge im Weinkeller des Hotels. Gegen halb neun war Henry mit dem Einlagern fertig, Antonia Vanzetti frühstückte auf der Terrasse, und er setzte sich zu ihr.
    Sie hatte ihr wildes Haar zurückgebunden, ihr Gesicht war offen, lebhaft, das Kinn energisch, ihre Augen waren ständig in Bewegung. Ihre Laune passte zu diesem strahlend blauen Morgen. Sie trug einen leichten sandfarbenen Pulli mit weitem Ausschnitt und eine beige, weit geschnittene Tuchhose. Freundlich, aber energisch bestellte sie für Henry ein zweites Frühstück. Die Art, in der sie es tat, zeigte ihm, dass sie es gewohnt war, Anweisungen zu geben. Dann begann er sie in seiner zielgerichteten Art auszufragen. Er fragte nach dem Weingut, dem Terroir, ihren Weinen, den Marktchancen und nach den Mitarbeitern. Sie schwärmte von ihrem Sangiovese und dem Verschnitt mit Merlot und Cabernet Sauvignon, von dem sie ihm einige Flaschen schicken würde.
    »Besser, Sie besuchen uns mit Ihrer Frau, holen die Flaschen ab und bleiben eine Woche. Das wäre viel

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