Sein letzter Burgunder
drum prügeln.«
»Nur die Waffen sind unterschiedlich«, sagte Henry mit einem resignierenden Unterton.
»Klar, irgendwann musste die Anspielung auf italienische Verhältnisse kommen. Wir – oder die – machen es jedenfalls anders als ihr – oder die hier. Es hängt davon ab, auf wessen Seite man sich schlägt. Mit den Italienern kommt man gut aus, zumindest mit der einen Hälfte. Die andere Hälfte kann man vergessen, egal, wo man sich aufhält. Das wird in Spanien nicht anders sein …«
»Wenn es mal die Hälfte wäre …«
Ihr neuerliches Geplänkel wurde vom Erscheinen des Winzers unterbrochen. Henrys Beobachtung, dass die sogenannten erfolgreichen Winzer in ihre Weine vernarrt waren, dass sie gern wieder probierten, was sie bestimmt hundert Mal gemacht hatten, und meistens auch guter Laune waren, wurde wieder einmal bestätigt. Joachim Heger, klein und füllig, war ein freundlicher und energischer Mensch. Er führte das Weingut in der dritten Generation. Ein Leben als Journalist und die Erfahrung ließen Henry vieles erspüren, was sich anderen auch intellektuell verschloss. Es gab Weingüter, wo er auf dem Absatz kehrtgemacht hatte, bei anderen probierte er höflich, blieb distanziert, und auf anderen wieder fühlte er sich sofort dazugehörig. Er hatte die Reise nach Deutschland mit Vorbehalten angetreten, er war auf Unfreundlichkeit, Besserwisserei und Aggressivität gefasst und darauf, zurechtgewiesen zu werden. Aber die Kaiserstühler schienen ihm ein besonderer Menschenschlag zu sein. Alemannen eben und keine Germanen. Joachim Heger gehörte mitnichten zu den Zerrissenen.
Früher, so sagte er, empfand er Ihringen als klein und provinziell, heute freute er sich, wenn er nach einer Reise den Kirchturm erblickte. Er war Ihringer und genau da, woer sein wollte. Henry verstand es in jedwedem Sinne, beruflich, physisch und wohl auch spirituell. Das Terroir formte sowohl den Wein wie den Menschen. Dem einen entsprach es, andere stieß es ab. Und trotzdem folgte Heger einer internationalen Orientierung, der sich alle deutschen Winzer seit Beginn der Neunzigerjahre stellen mussten – hin zum Inhalt, zur physischen Reife der Trauben und weg von der Fixierung auf Öchslegrade und Zuckergehalt.
Von seinem Terroir war Heger begeistert, er beschrieb es als außergewöhnlich, was sicher richtig war, wo gab es schon Vulkanböden im deutschen Weinbau? Es gab Löss, Gneis und Schiefer, Mischformen und tonigen Lehm, Kalk und so weiter. Und dann begann die Kunst, Reife mit dem richtigen Maß an Alkohol zu kombinieren und ausbalancierte, mineralische Weine zu machen, die weiterhin das Terroir zum Ausdruck brachten, die Lage, das Mikroklima, den Boden und die Rebsorte. Es waren Weine mit Eigenheiten, die sie von anderen unterschieden. Es war eine lösbare Aufgabe.
Das konnten hohle Phrasen sein, Henry hatte sie oft gehört, sie waren leicht gesagt, und er war gespannt, wie Heger sie einlösen würde.
Der Vorschlag, zum Ihringer Winklerberg zu fahren, wo alles begonnen hatte, schmeckte Henry sehr, und zu dritt verließen sie Ihringen in Richtung Breisach. Keine fünf Minuten später stiegen sie am Fuß des Winklerbergs aus. Es war ein gewaltiger, steiler Berg mit einem Weinhäuschen am Hang.
Henry würde ihn unter Hunderten von Weinbergen wiedererkennen. Jede Weinbauregion hatte ihre landschaftlichen Besonderheiten, ihre Silhouette, er sah die Sierra de Cantabria in La Rioja vor sich, an deren Abhang sein Leben eine Wendung genommen hatte. Auch dieser Berg zeigte Eigenheiten, die durchaus zu einem Drama passten. Dieser Berg war kein Alpenmassiv, wie das italienische Valtellina, das Gatow zu dem Anblick einfiel. Ein Vulkan sah anders aus, wenn er an den Osorno in Chile dachte. Er war spitz. Hierhingegen liefen die Rebzeilen geradewegs von unten nach oben, dazu musste ein Berg nach außen gewölbt sein. Da gab es auch weniger Schatten, die Weinstöcke dankten es.
Sie stiegen in der Hitze bergan, nach wenigen Schritten wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, die Sonne stand noch schräg, trotzdem war der schwarze Lavastein bereits heiß, und die in den Reiseführern vielfach erwähnten Kakteen gab es tatsächlich, die Eidechsen auch.
Alles hatte Heger gepflanzt, alle gängigen Rebsorten, vom Silvaner über Gewürztraminer bis zum Riesling. Der Achkarrer Schlossberg, den sie danach aufsuchten, war zum Teil bewaldet, Weinstöcke waren fast bis zum Gipfel gesetzt. Einzelne
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