Sein letzter Burgunder
Flurstücke mit unterschiedlicher Ausrichtung der Rebzeilen und dichter gepflanzten Weinstöcken gaben der Landschaft eine Struktur, graphische Linien, es war eine geschaffene Landschaft – ökonomisiert nannte sie Frank, »dem Geld unterworfen«. Henry verstand, was er meinte. Konnte er sich auf ihn verlassen? Vielleicht bei einem gemeinsamen Buch? Reichte sein Durchhaltevermögen?
Aus den Augenwinkeln beobachtete Henry den Fotografen. Er skizzierte die jeweilige Lage und zu welcher Zeit er von wo aus fotografieren müsste, den Stand der Sonne berücksichtigend. Jetzt brannte sie von oben. Ihm fehlte der Hut. Der lag zu Hause.
Die Sonne stand senkrecht, es war längst Zeit für die Proben. Am Abend mussten sie in Baden-Baden sein. Henrys Koffer lag gepackt im Wagen.
Vom Muskateller, den sie zuerst probierten, ließ sich nicht auf die allgemeine Linie des Weingutes schließen, die Rebsorte war zu eigenartig, zu vielseitig in den Aromen, üppig, aber nicht parfümiert und gleichzeitig schlank. Ob der Wein besser oder schlechter als andere war, konnte er nicht sagen. Henry fehlte der Vergleich, aber der Muskateller gefiel ihm, hatte Tiefe, war ernsthaft, was wohl nur ihm etwas sagte. An den nächsten Weinen merkte er, dass er bereitsbeim ersten den Stil des Hauses erkannt hatte: ernsthaft und tiefgründig – so empfand er Hegers Weine generell.
Eine zwei Jahre alte Spätlese eines Spätburgunders begeisterte ihn, sie war im großen Holzfass vergoren, was dem Wein mehr Fülle gab, aber die Aromen von frisch gemähtem Heu und Melone nicht zudeckte. Auch das Steinig-Salzige, als Mineralität wahrgenommen, erkannte Henry wieder. Der Weißburgunder danach war ihm zu stark im Holz, und er spürte etwas Brandiges auf der Zunge. Der sich daran anschließende Grauburgunder, ein Großes Gewächs, war jedoch von einer derartigen Fülle, die ihn als Weißwein sogar als Begleiter eines Hauptgerichts mit Rindfleisch geeignet erscheinen ließ.
Die eher zarten und milden Silvaner standen nicht auf Henrys Programm, aber seine Neugier traf sich mit dem Wunsch des Winzers. Die herausragende Qualität der Weine machte das Probieren leicht. Seine Begeisterung aber gehörte mehr den Burgundern. Die kamen nicht wuchtig daher wie viele Spanier, überschwemmten den Gaumen nicht mit Aromen, sie waren leise, diskret – und überzeugend gehaltvoll. Man brauchte Zeit für sie wie für ein gutes Buch, ein faszinierendes Bild, ein wundervolles Konzert.
In dieses Ensemble passten auch die Grauburgunder vom Winklerberg, die man ihm und Frank einschenkte, der kommentarlos alles notierte. Seine Bewertungen behielt er für sich – auch als sie zu den Großen Gewächsen des Spätburgunders kamen. Aber das verstand Henry gut, diese Weine lebten noch von der Vorstellung, wie sie eines Tages sein könnten.
Bei dem Duft des Weins erwartete Henry einen ganz anderen Geschmack, als er den Geschmack spürte, war er überrascht. Alle wichtigen und typischen Fruchtaromen waren da, aber noch nicht in der Fülle. Johannisbeere, Pflaume, Kirsche, etwas Rauch ließ sich ahnen und eine exotische Gewürzmischung. Der Duft würde sich noch wandeln.
Henrys Gedanken schweiften ab, als der Winzer meinte,dass ein Wein so groß sei, wie lange man über ihn spräche. Genau das mache ich zum Thema meines Buches, dachte er, ich werde es »Zeit und Wein« nennen, und es wird von den Menschen handeln und von der Zeit, die sie brauchen, um ihn zu begreifen, ihn zu machen und dann zu warten …
»
Porca mis
…!« Frank sprang auf und hielt Henry die Uhr vors Gesicht. »Die Zeit rennt – wir müssen los …«
7
Gelbe Rosen
»Da ist ja unsere Goldnase! Und – hatten Sie eine gute Reise?«
Der Kettenhund kläffte ihn an, Heckler hatte ihn vor der Hütte angeleint, er stand am Fuß der Treppe im Foyer des Hotels. Henry lief ihm in die Arme, als er aus dem Fahrstuhl trat. Koch gehörte zum Komitee, das die Juroren begrüßte.
»Ich habe mich schon in Spanien darauf gefreut.«
»Und ich erst«, entgegnete Henry. »Jetzt als Security tätig? Das ist bestimmt eine Herausforderung für einen Mann von Ihrem Format!«
Ein fremder Herr schob sich an Henry vorbei, blieb stehen, zog die Plastikkarte für sein Zimmer aus der Brusttasche und hielt sie Koch hin. Der machte eine wegwerfende Handbewegung, die der Gast nicht verstand. Koch hob den Kopf, seine Augen wurden dunkler, sein ohnehin schmales Gesicht noch kantiger. Er suchte nach Worten.
Henry
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