Sein letzter Burgunder
hat alle Mitarbeiter zu einem persönlichen Gespräch zu sich eingeladen, da wird sich niemand weigern. Außerdem reden die Leute gern über andere.«
»Du setzt auf die niederen Triebe des Menschen?«
»Als Polizist habe ich wenig mit den edlen Trieben zu tun. Sie hat sich einen Fragebogen ausgedacht, mit dem sie ein Täterprofil zu entwickeln sucht. Wir können von ihr lernen …«
»Aber der Anschlag war doch erst …«
»In solchen Angelegenheiten ist deine Frau schnell und gnadenlos. Ich wäre froh, wir hätten derart engagierte Leute bei uns, aber was sie treibt, ist auch gefährlich, es ist hart an der Grenze zur Gesinnungsschnüffelei. Sie hat nach zwei Gesprächen mit Mitarbeitern ihren Fragebogen bereits wieder geändert – es hilft sehr, wenn man beweglich ist. Wir sind dran,
compadre
. Genieß deine Weinproben, amüsier dich mit deinen Landsleuten und bring mir eine Kiste Pinot Noir mit, dann bin ich zufrieden. Du kannst beruhigt sein, wir haben für Isabella einen – na sagen wir es mal so – einen diskreten Aufpasser abgestellt.«
»Weiß sie davon?«
»Nein, aber dein …äh … Don Sebastián. So, jetzt bist du dran. Wie ist das Hotel? Vier oder fünf Sterne? Gibt es was Feines zu essen?«
In diesem Moment fragte sich Henry wieder, ob das, was er gerade tat, richtig war, ob er nicht besser in Spanien geblieben wäre und jetzt mit Salgado, mit seiner Frau Nerea und Isabella durch die Bars der Altstadt ziehen, Wein und Tapas genießen sollte, statt den Abend über auf diplomatischemParkett Smalltalk zu betreiben. Andererseits war er neugierig auf Amber und freute sich auf das Treffen mit Gatow/Vanzetti.
Zuletzt erzählte er dem Capitán von Jürgen Templin. Das Gespräch beschäftigte ihn immer noch. »Lässt sich so ein Unfall arrangieren? Glaubst du, dass man Leute auf diese Weise um ihren Besitz bringt – mit einer Kreditfalle?«
Salgado atmete heftig, als wäre er aufgebracht. »Weshalb bist du in Deutschland,
amigo
? Des Weins wegen. Also,
maldito
, bleib gefälligst dabei und misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen. Die Behörden hier wie dort mögen es nicht, wenn man sich einmischt. Überlass die Ermittlungen der Polizei, mehr sage ich nicht. Das war der offizielle Teil. Also, einen derartigen Unfall kann ich mir vorstellen, und eine Kreditfalle ist nichts Neues. Beim Fußball heißt es Abseits. Aber – was geht es dich an?
Comprendes
? Leider redet man bei dir gegen Wände, ich kann mir denken, dass du bereits wieder Nachforschungen anstellst …«
»Noch nicht! Das ist die Wahrheit.«
»Sprich einem Polizisten gegenüber nicht von Wahrheit, er wird dir beweisen, dass du lügst. So, meine Frau ruft …«
Er sollte sich raushalten? Henry ließ sich rückwärts aufs Bett sinken. Es war der Rat, dem er am wenigsten zu folgen bereit war. Nach der Challenge würde er zurück zum Kaiserstuhl fahren und sich die Unfallstelle genau ansehen. Auf dem Weg zum Weingut Probst in Achkarren könnte er an der St.-Vitus-Kapelle vorbeifahren. Er lachte über sich selbst, als er merkte, wie er sich eine Ausrede bastelte. Er müsste nur noch herausfinden, warum ihn Templins Schicksal so berührte. Einerseits rührte ihn der Mann, rührte ihn so ein Schicksal. Und wenn die Aussage des Winzers stimmte, war er höllisch über den Tisch gezogen worden. Das konnte Henry schlecht vertragen. Und er war neugierig, wie dieser John Johansen das angestellt hatte.
Er saß mit am Tisch der Jury, alle in tiefen Sesseln und weit zurückgelehnt. So konnte man doch keine Fragebögen ausfüllen. Da waren Koch und Marion Dörner, merkwürdigerweise gehörte auch Salgado mit zu den Juroren. Wieso hatte er ihm nichts davon gesagt, dass er hier sein würde? Antonia Vanzetti redete leise auf ihn ein. Wieso sprach sie Deutsch? Das hatte sie bis gestern nicht gekonnt. Oder sprach sie Italienisch, und er verstand sie, aber er wusste nicht, worüber sie mit Salgado sprach. Koch stieg wortlos auf ein Fahrrad und fuhr nach Endingen und winkte ihnen zu wie die Königin von England. An sein Fahrrad war ein Anhänger mit Möbeln gekoppelt, er wollte für Heckler eine Filiale des Verlags in Madrid eröffnen, dann wäre es mit Henrys Newsletter vorbei. Auch Marion Dörner war dafür, sie freute sich, dass sie zusammenziehen würden, und im August würden sie dann heiraten, am besten in Baden-Baden auf dem internationalen Standesamt. Sie würde seinem Sohn eine gute Mutter sein.
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