Sein letztes Tabu
wunderschönen alten viktorianischen Haus. Sie und ihr Mann waren schon vor einem Monat mit diesem Auftrag an Nick und Luke herangetreten. Da sie den Anbau jedoch modern gestaltet haben wollten, hatten die beiden Architekten abgelehnt. Denn ihre ganze Leidenschaft galt der originalgetreuen Restauration alter Häuser.
“Ja, mit Balkons und Erkern und farbigem Glas, genau wie wir es vorgeschlagen hatten.” Nick hob triumphierend seine Bierdose und nahm einen Schluck. “Ich habe den Auftrag wegen der Terminplanung schon Christy gegeben.”
Wir müssen unbedingt unsere besten Handwerker dransetzen, dachte Luke. Dieser Auftrag war wichtig. Und es gab nicht viele Leute, die für diese anspruchsvolle Aufgabe geeignet waren. “Willie kann die Schornsteine machen und Mike McGuire die Firste. Wenn diese beiden gerade beschäftigt sind, müssen die Lemmons eben warten.”
“Das werden sie schon”, sagte Nick zuversichtlich. Er und Luke hatten einen ausgezeichneten Ruf, und die Kunden wussten, dass sie eventuell eine Wartezeit in Kauf nehmen mussten. “Was ist mit dir? Hast du eine späte Verabredung?”
“Cat kommt erst spät nach Hause. Montag war sie mit Ted aus. Dienstag hat sie sich ein Baseballspiel mit einem der beiden Bobs angesehen. Mittwoch hat Allan sie abgeholt. Heute ist sie mit Kevin im Konzert. Ich frage schon gar nicht mehr, wer als Nächster drankommt.”
“Aber deshalb ist sie doch hier. Um Männer kennenzulernen. Bist du verärgert, weil sie dauernd unterwegs ist?”
Luke schüttelte nur den Kopf, aber er wusste, dass der Freund recht hatte. Er musste dauernd daran denken, was Cat und Kevin wohl gerade taten. Das Konzert musste doch vorbei sein. Vielleicht tranken sie noch irgendwo etwas. Hoffentlich nur Kaffee.
“Weißt du was, alter Freund?”, fing Nick wieder an. “Manchmal machst du auf mich eher den Eindruck eines eifersüchtigen Liebhabers als eines besorgten Bruders.”
Luke machte eine abwehrende Handbewegung. “Denk dir keine Romane aus, Stratton. Mich interessiert lediglich, dass Cat auch die richtige Wahl trifft.” Doch Luke war so nervös, dass er am liebsten aus der Haut gefahren wäre. Er hätte Nick so gern vertraut. Schließlich teilten sie doch beinahe alles. Sie waren nicht nur Geschäftspartner, sie fühlten sich enger verbunden als viele Brüder. Es gab keinen anderen Menschen, dem Luke mehr vertraute und den er stärker respektierte.
Aber Nick war auch gar nicht das Problem, Luke selbst war es.
Es gab ein Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen würde. Er wusste, dass er seine veränderten Gefühle für Cat nie zeigen durfte, da er sonst alles zerstören würde, was ihn mit seiner Stiefschwester verband. Und das wollte er auf keinen Fall.
“Warst du eigentlich in der letzten Zeit mal in meinem Apartment?”, fragte er, um das Thema zu wechseln. “Es ist eine grüne Hölle. Wenn Cat noch mehr Pflanzen kauft, brauche ich eine Machete, um durch die Haustür zu kommen.”
Cat. Immer wieder Cat.
“Sie baut sich ein Nest.” Nick lächelte leicht vor sich hin. “Nimm nur mal all diese Dinge, die sie gekauft hat. In drei Wochen hat sie die Wohnung total umgewandelt. Pflanzen, Möbel, diese ganzen Kissen, Kerzen, typisch Frau. Also, wenn ich es nicht besser wüsste. Andererseits hat bisher noch keiner von uns mit einer Frau längere Zeit zusammengewohnt. Insofern weiß ich eigentlich gar nicht, was das bedeutet.”
Er warf Luke einen vorsichtigen Blick von der Seite zu. “Ach, ehe ich es noch vergesse, nächste Woche gehe ich mit Cat aus.”
“Du?” Luke richtete sich überrascht auf. “Seit wann habt ihr denn diese Art von Beziehung?”
“Hm. Beziehung.” Nick lachte leise. “Die Vorstellung gefällt mir irgendwie.”
“Sei vorsichtig, Nick Stratton. Lass Cat in Ruhe. Sie ist nicht so raffiniert wie die Frauen, mit denen wir es sonst zu tun haben. Sie weiß nicht, nach welchen Regeln hier gespielt wird. Womöglich verliebt sie sich noch in dich, und du brichst ihr das Herz.”
“So was würde ich doch nie tun.”
“Ich trau dir nicht. Schon wie du ‘Cat’ sagst, gefällt mir nicht.”
“Aber sie heißt doch Cat.”
Luke presste kurz die Zähne zusammen. “Du hast immer Cat gesagt, und dabei soll es auch bleiben. Behandele sie so, wie du sie immer behandelt hast. Wie ein Bruder. Sie vertraut dir, und du solltest dich entsprechend verhalten.”
Beide schwiegen. Ein Nebelhorn war in der Ferne zu hören. Ein Hund bellte. Ein Auto kam um die Ecke.
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