Sein mit Leib und Seele - Band 01
Frauenstimmen und das Geräusch klirrender Gläser dringen an diesem Abend aus seiner Wohnung, als ich gerade dabei bin, abzuwaschen. Monsieur gibt also eine kleine Party. Mit Models, die sich über die schlecht gekleidete Nachbarin lustig machen.
Ich hasse sie alle. Mit einem Kissen über dem Kopf schlafe ich nach langer Zeit endlich ein.
6. Eine Erscheinung
Montag, 5 Uhr 45. Seit ich in Paris bin, kann ich mich nicht daran erinnern, so früh aufgestanden zu sein. Vielleicht gibt es auch ein Gesetz, das solche Dinge verbietet, denn die Stadt scheint nie vor 9 Uhr 30 zu erwachen. Die Haare schnell zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, schlüpfe ich in meine Vogelscheuchenklamotten, schnappe mir meine Bücher und trete auf den Gang hinaus. Während ich auf der Suche nach meinem Schlüssel hektisch in meiner Tasche krame, werde ich von einer warmen Stimme angesprochen.
Guten Tag.“
Ich drehe mich um, bereit, jener Person, die meinen perfekten Plan der morgendlichen Einsamkeit durchkreuzt, an die Gurgel zu gehen. Aber ich kann nicht. Ich bin hin und weg vor lauter Bewunderung. Ich glaube, ich habe noch nie zuvor eine so schöne Frau gesehen. Genau so möchte ich auch einmal aussehen, wenn ich „groß“ bin. Eine Mischung aus Rita Hayworth in ihrer Rolle der Tänzerin Gilda und Catherine Zeta-Jones in dem Film „Ein (un)möglicher Härtefall“. Sie trägt ein rotes Abendkleid und bewegt sich auf ihren hohen Stöckelschuhen mit solch einer Natürlichkeit, dass ich mir der eigentlichen Uhrzeit nicht mehr sicher bin. Sie lächelt mich warmherzig an. Ihre großen Locken, die auf ihre nackten Schultern fallen, faszinieren mich. Wollust. Das ist es. Diese Frau ist der Inbegriff von Wollust. Und Sex. Sie kommt aus der Wohnung meines Nachbarn. Seite an Seite warten wir auf den Aufzug. Ein lächerliches Bild. In meinen Turnschuhen reiche ich ihr gerade einmal bis zur Schulter. Wenn ich nicht so gekränkt und verwirrt wäre, könnte ich sogar darüber lachen. Nach einer scheinbar unendlichen Fahrt nach unten verschwindet sie und ich bleibe nachdenklich und von ihrem Duft umhüllt auf dem Bürgersteig zurück.
„Das ist eine Hure!“
Ich habe Manon alles erzählt und ihr Urteil ist eindeutig.
Nein, glaube mir, sie hatte wirklich eine elegante Ausstrahlung. Meiner Meinung nach sah sie überhaupt nicht aus wie eine Hure.“
Weiß du, in Paris sind Huren nicht gleich Huren. Es kommt immer darauf an, was du bezahlst.“
Ich frage mich, woher sie nur so viel über das Geschäft mit der Liebe weiß, aber ich enthalte mich meiner Stimme.
Nein, wirklich, ich glaube nicht.“
Stört es dich, dass dein Milliardär zu einer Hure geht, oder irre ich mich?“
Er kann machen, was er will, das ist mir vollkommen egal! Ich glaube nur, dass das nicht seine Art ist, und sie hat auf mich auch nicht den Eindruck einer Hure gemacht.“
Jedenfalls hat er deine Rita gefickt, nicht wahr?“
Wie kannst du nur so vulgär sein! Aber ja, das denke ich zweifelsohne.“
Er langweilt sich also nicht, dieses Schwein! Am Freitag baggert er dich an, am Samstag organisiert er eine Party und am Sonntag verbringt er die Nacht mit Rita, der heimlichen Hure.“
Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich diejenige gewesen bin, die ihn angebaggert hat …“
Da haben wir es ja!“
Ja, aber ich hatte auch etwas getrunken!“
Ein Glas! Willst du mich veralbern? Dieser Typ gefällt dir!“
Er hat mir gefallen, ja! Bis er sich über mich lustig gemacht hat und mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat. Dafür bin ich ihm auch dankbar. Ich hätte ohnehin nur meine Zeit vergeudet.“
Wie kann man nur so verklemmt sein! Auch wenn der Typ dumm ist, würde es dir nicht schaden, dich ein wenig von ihm durchfi …“. Sie verstummt plötzlich und sieht mich mit einem neugierigen Blick an.
Entschuldigung, ich vergesse immer, dass du Amerikanerin bist. Jetzt sag bloß nicht, dass du noch Jungfrau bist?“ Sie spricht von einer Jungfrau wie von einem Koprophagen, gleichermaßen erstaunt wie angeekelt. Ich beruhige sie sofort.
Nein, nein, es ist nur so, dass ich diesen Delmonte nicht riechen kann, also vergiss es.“ Zum Glück kommt Mathieu, wodurch dieses unangenehme Gespräch ein jähes Ende findet.
Während Mathieu uns von seinem faszinierenden Seminar über die vorsokratischen Philosophen erzählt, denke ich über mein Sexleben nach. Trotz der verklemmten Haltung, die an meiner Schule herrschte, bin ich keine Jungfrau mehr. Mit etwa 17 Jahren
Weitere Kostenlose Bücher