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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Stirn. Er sprang
aufschreiend empor und wollte sich von neuem auf sie stürzen. Sie
aber trat schnell beiseite und ergriff, sich nahe beim Kamin an die
Wand lehnend, einen Glockenzug.
    »Ich klingle und sage, daß Sie mich eingeschlossen haben!« rief
sie.
    Er machte kehrt und drückte die Fäuste an die Schläfen, am
ganzen Leibe zitternd. Einige Sekunden blieb er so unbeweglich
stehen und fürchtete, sein Kopf könne bersten. Er reckte sich in
die Höhe, wie um sich mit einem Schlage zu beruhigen; ihm brausten
die Ohren, rote Flammen zuckten vor seinen Augen und drohten ihn zu
blenden.
    »Ich bin ein Vieh«, murmelte er. »Das ist blöd'.«
    Clorinde lachte mit Siegermiene und predigte ihm Moral. Er tue
sehr unrecht, die Frauen zu verachten, er werde noch zu der
Einsicht kommen, daß es sehr kluge Frauen gebe. Dann fand sie ihren
gewöhnlichen, gutmütigen Ton wieder.
    »Wir grollen einander darum nicht, wie? … Sehen
Sie, 
das
 dürfen Sie nie von mir verlangen. Ich
will nicht, ich mag nicht.«
    Rougon ging beschämt auf und ab. Sie ließ den Glockenzug fahren,
setzte sich wieder an den Tisch und machte sich ein Glas
Zuckerwasser zurecht.
    »Ich habe gestern einen Brief von meinem Manne bekommen«, fuhr
sie ruhig fort. »Ich hatte heute früh so viel zu tun, daß ich
vielleicht nicht zum Frühstück gekommen wäre, wenn ich ihn Ihnen
nicht hätte zeigen wollen. Da haben Sie
ihn … Er erinnert Sie an Ihre Versprechungen.«
    Er nahm den Brief, las ihn im Gehen und warf ihn dann mit
gelangweiltem Ausdruck vor sie auf den Tisch hin.
    »Nun?« fragte sie.
    Er antwortete nicht sogleich. Er beugte sich hinten über und
gähnte leicht.
    »Er ist dumm!« sagte er endlich.
    Sie war sehr verletzt. Seit einiger Zeit duldete sie nicht mehr,
daß man die Fähigkeiten ihres Gatten bezweifle. Sie senkte einen
Augenblick den Kopf und hielt ihre vor Empörung zitternden Hände
gewaltsam still. Nach und nach befreite sie sich von der
Unterwürfigkeit der Schülerin und schien Rougon genug von seiner
Kraft entlehnt zu haben und sich ihm als furchtbare Gegnerin
entgegenzustellen.
    »Wenn wir diesen Brief zeigten, wäre es um ihn geschehen«, sagte
der Minister, um sich für den Widerstand der Frau am Gatten zu
rächen. »Der gute Mann ist nicht leicht unterzubringen!«
    »Sie übertreiben, mein Lieber!« nahm sie nach einer Weile das
Wort. »Früher schwuren Sie darauf, daß er die schönste Zukunft vor
sich habe. Er besitzt sehr ernste und sehr zuverlässige Vorzüge.
Sie wissen: es sind nicht immer die wirklich gescheiten Männer, die
am weitesten kommen.«
    Rougon zuckte nur die Achseln und setzte seinen Spaziergang
fort.
    »Es liegt in Ihrem Interesse, daß er in das Ministerium
eintritt. Sie hätten dort einen Freund mehr. Wenn der Minister für
Handel und Ackerbau sich wirklich aus Gesundheitsrücksichten
zurückzieht, wie man sagt, ist die beste Gelegenheit zur Hand. Mein
Mann ist auf diesem. Gebiete ein Sachverständiger, und seine
Sendung nach Italien empfiehlt ihn der Wahl der Kaisers … Sie
wissen, der Kaiser hält Stücke auf ihn,
sie verstehen einander gut; sie haben gleiche Ansichten … Ein
Wort von Ihnen würde die Angelegenheit erledigen.«
    Er ging noch einige Male auf und ab, ohne zu antworten. Dann
trat er vor sie hin und sagte:
    »Nun gut, ich will es tun … Es gibt noch Dümmere. Aber ich
tue es nur um Ihretwillen. Ich will Sie entwaffnen, denn Sie müssen
gar schlimm sein. Nicht wahr, Sie sind sehr rachsüchtig?«
    Er scherzte. Sie lachte ebenfalls und wiederholte:
    »O ja, sehr rachsüchtig. Ich vergesse nichts.«
    Als sie ihn verließ, hielt er sie an der Tür noch einen
Augenblick fest. Zweimal drückten sie einander kräftig die Hände,
ohne ein Wort dabei zu sagen.
    Sobald Rougon allein war, kehrte er in sein Kabinett zurück. Das
weite Gemach war leer. Er setzte sich an den Schreibtisch, stützte
die Arme auf die Schreibmappe und schnaufte, daß es in der Stille
doppelt laut klang. Die Augen fielen ihm zu, und für etwa zehn
Minuten versank er in einen träumerischen Halbschlummer. Dann aber
fuhr er auf, reckte die Arme und klingelte. Merle trat ein.
    »Der Herr Präfekt der Somme wartet noch immer, nicht wahr?
Lassen Sie ihn eintreten!«
    Der Präfekt der Somme kam blaß und lächelnd und richtete seine
kleine Gestalt stramm auf. Er verbeugte sich tadellos vor dem
Minister. Rougon, noch etwas schlaftrunken, wartete und lud ihn zum
Sitzen ein.
    »Herr Präfekt, ich habe Sie herberufen, um

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