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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der Spitze des Unternehmens einen Mann sehen, dessen
günstige Vermögensverhältnisse und erprobte kaufmännische
Redlichkeit im Kreise wohlbekannt sind.«
    Ein Beifallsgemurmel wurde laut. Nur einige Leute sahen Herrn
Kahn an, der sich mit bleichen Lippen zu lächeln bemühte. Rougon
hatte mit halbgeschlossenen Augen zugehört, als wenn ihn das grelle
Licht blende. Als er sie wieder öffnete, waren seine hellen Augen
schwarz geworden. Er hatte anfangs nur sehr wenig sprechen wollen;
jetzt aber hatte er einen der Seinigen zu verteidigen. Er trat bis
an den Rand des Zeltes vor, und hier begann er mit
einer Handbewegung, die in ihrer weit
ausholenden Größe sich an das ganze lauschende Frankreich zu wenden
schien, folgendermaßen:
    »Meine Herren, erlauben Sie mir, im Geiste diese Hügel
überschreitend, das ganze Reich mit einem Blicke zu überschauen und
so die Feierlichkeit, die uns hier vereinigt, zu erhöhen, um dabei
die gewerbliche und Handelstätigkeit überhaupt zu feiern. In dem
Augenblicke, da ich rede, gräbt man vom Norden bis zum Süden
Kanäle, baut man Eisenbahnen, durchsticht man Berge, errichtet man
Brücken … «
    Tiefes Schweigen herrschte ringsum. Zwischen den einzelnen
Sätzen hörte man nur das Rauschen der Blätter und von fern das
Brausen einer Schleuse. Die Feuerwehr, die trotz der Hitze an guter
Haltung mit den Soldaten wetteiferte, schielte hinüber, um den
Minister reden zu sehen, ohne den Hals zu wenden. Auf dem Abhänge
hatten sich die Zuschauer gemächlich niedergelassen, die Damen
hockten auf ihren ausgebreiteten Taschentüchern; zwei Herren,
welche die Sonne erreichte, öffneten die Schirme ihrer Frauen.
Allmählich erhob Rougon die Stimme. Er schien sich in diesem Loche
beengt zu fühlen, als ob das Tal für seine Gebärden nicht weit
genug sei. Mit den heftig fuchtelnden Händen schien er den Horizont
erweitern zu wollen. Zweimal suchte er Raum, aber er begegnete oben
am Himmelsrande nur den Mühlen, deren ausgeweidete Gerippe in der
Sonnenglut knackten.
    Der Redner hatte das Thema des Herrn Kahn wieder aufgenommen,
behandelte es jedoch von einem weiteren Gesichtspunkte aus. Nicht
nur für den Kreis Deux-Sèvres breche eine Zeit wunderbaren
Gedeihens an, sondern für ganz Frankreich dank der Zweigbahn von
Niort nach Angers. Zehn Minuten verweilte er dabei, die
zahllosen Wohltaten aufzuzählen, die sich
über die Bevölkerung ergießen würden. Er trieb die Sache so weit,
von der Hand Gottes zu reden. Dann antwortete er dem Chef des
Bauamtes; er erörterte seine Rede nicht, spielte nicht einmal
darauf an, sondern sagte einfach das Gegenteil von dem, was jener
behauptet hatte. Er betonte die Hingabe des Herrn Kahn, stellte ihn
als bescheiden, selbstlos, erhaben hin. Die finanzielle Seite des
Unternehmens verursachte ihm keine Sorge. Mit einem Lächeln, einer
schnellen Handbewegung häufte er Goldberge auf. Da wurde er von
Bravorufen unterbrochen.
    »Meine Herren, noch ein letztes Wort«, sagte er, nachdem er sich
die Lippen abgetrocknet.
    Das letzte Wort dauerte eine Viertelstunde. Er ließ sich dazu
hinreißen weiterzugehen, als er gewollt. Ja, als er in seiner Rede
bei der Größe des Reiches angekommen war und des Kaisers tiefe
Einsicht feierte, ließ er merken, daß Seine Majestät die Zweigbahn
Niort-Angers in besonderer Weise begünstige. Das Unternehmen wurde
zu einer Staatsangelegenheit.
    Drei Beifallssalven ertönten. Eine Rabenschar, die in
beträchtlicher Höhe unter dem klaren Himmel dahinflog, brach
erschrocken in langanhaltendes Krächzen aus. Nach dem letzten Worte
der Rede hatte die philharmonische Gesellschaft auf ein Zeichen vom
Zelte her wieder zu spielen begonnen, während die Damen ihre Röcke
zusammenrafften und sich schnell erhoben, um von dem Schauspiele
nichts zu verlieren. Inzwischen drängten sich die Gäste mit
entzücktem Lächeln um Rougon. Der Bürgermeister, der Staatsanwalt,
der Oberst der Achtundsiebziger nickten, als der Abgeordnete sich
halblaut in Ausdrücken der Bewunderung erging, aber doch so, daß
der Minister ihn hören konnte. Die höchste Begeisterung jedoch
zeigte der Chef des Bauamtes; er bekundete
eine außerordentliche Dienstbeflissenheit mit verzogenem Munde,
gleichsam niedergeschmettert durch die herrlichen Worte des großen
Mannes.
    »Wenn Eure Exzellenz mir jetzt folgen wollen«, sagte Herr Kahn,
dessen dickes Gesicht vor Freude schwitzte.
    Man kam zu Ende. Seine Exzellenz schickte sich an, die erste
Mine auffliegen zu lassen.

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