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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Stunden dort zu sein und gegen
vier Uhr spätestens heimkehren zu können, um das Festmahl nicht zu
versäumen, zu dem er geladen war. Also beeilte er den Schritt
seines Rosses nicht sehr, wiegte sich im Sattel und nahm sich vor,
abends gegenüber dieser blonden Frau, die er nur etwas mager fand,
sehr unternehmend zu sein. Gilquin hatte dicke Weiber gern. In
Coulonges stieg er im »Goldenen Löwen« ab, wo ein
Korporal und zwei Gendarmen ihn erwarten
sollten. Auf diese Art würde niemand seine Ankunft bemerken; er
würde einen Wagen nehmen und den Notar »einpacken«, ohne daß eine
Nachbarin den Kopf aus dem Fenster stecken würde. Aber die
Gendarmen waren nicht zur Stelle. Gilquin wartete bis fünf Uhr,
fluchte, trank Grog und sah alle Viertelstunden nach der Uhr.
Unmöglich konnte er noch zum Festmahl nach Niort gelangen. Er ließ
satteln, als endlich der Korporal mit seinen Leuten erschien. Es
hatte ein Mißverständnis stattgefunden.
    »Gut, gut, entschuldigen Sie sich nicht, dazu haben wir keine
Zeit!« schrie der Polizeikommissar wütend. »Es ist schon ein
Viertel auf sechs! … Wir wollen unsern Mann einstecken, und
zwar sofort! In zehn Minuten müssen wir unterwegs sein!«
    Gewöhnlich war Gilquin ein guter Kerl. Er rühmte sich in seinen
amtlichen Beziehungen stets der vollendetsten Höflichkeit. Er hatte
heute sogar einen verwickelten Plan ersonnen, um dem Bruder der
Frau Correur allzu heftige Erregungen zu ersparen: so wollte er
allein eintreten, während die Gendarmen mit dem Wagen an der
Gartentür, die auf einen Feldweg mündete, warten sollten. Aber die
drei Stunden Wartezeit im »Goldenen Löwen« hatten ihn so
aufgebracht, daß er alle diese schönen Vorsichtsmaßregeln vergaß.
Er fuhr durch die Stadt und klingelte heftig an der Haustür des
Notars. Einen Gendarm ließ er hier zurück, den andern schickte er
hinten herum, die Gartenmauern zu überwachen. Er selbst trat mit
dem Korporal ein, während ein Dutzend Neugieriger erschrocken von
weitem zusah.
    Beim Anblick der Uniformen verschwand die Magd, die geöffnet
hatte, von einem kindischen Schrecken ergriffen, indem sie aus
Leibeskräften schrie:
    »Madame! Madame! Madame!« Eine kleine
dicke Frau stieg mit sehr ruhigem Gesicht die Treppe herab.
    »Sie sind wohl Frau Martineau?« fragte Gilquin rasch. »Mein
Gott, liebe Frau, ich habe einen traurigen Auftrag
auszuführen … Ich muß Ihren Gatten verhaften.«
    Sie faltete ihre kurzen Hände zusammen, während ihre Lippen sich
entfärbten. Aber sie stieß keinen Schrei aus. Sie blieb auf der
untersten Stufe stehen und versperrte den Weg zur Treppe mit ihren
Röcken. Sie wollte den Verhaftsbefehl sehen, verlangte Erklärungen
und zog die Sache in die Länge.
    »Passen Sie auf! Er wird uns entwischen!« flüsterte der Korporal
dem Kommissar ins Ohr.
    Sie mußte es gehört haben, denn sie sah sie ruhig an und
sagte:
    »Bitte, kommen Sie!«
    Sie ging voran und führte sie in ein Zimmer, in dessen Mitte
Herr Martineau im Schlafrock stand. Das Schreien der Magd hatte ihn
bewogen, den Lehnstuhl zu verlassen, worin er seine Tage zu
verbringen pflegte. Er war sehr groß, die Hände wie tot, das
Gesicht wachsbleich; nur seine schwarzen, milden und doch
energischen Augen zeigten noch Leben. Frau Martineau wies
schweigend auf ihn hin.
    »Lieber Gott, ich habe einen traurigen Auftrag zu erfüllen, mein
Herr … «
    Als er geendet hatte, nickte der Notar nur schweigend. Ein
leichter Schauer ließ den Schlafrock über seinen mageren Gliedern
erzittern. Dann sagte er sehr höflich:
    »Es ist gut, meine Herren, ich folge Ihnen.«
    Darauf begann er die Sachen zu ordnen, die in dem Zimmer
umherlagen, legte einen Pack Bücher beiseite und ließ sich von
seiner Frau ein reines Hemd geben. Der Schauer schüttelte ihn
wieder und stärker. Als seine Frau ihn wanken sah, folgte sie ihm wie einem Kinde mit
ausgebreiteten Armen, um ihn aufzufangen.
    »Schnell, schnell, mein Herr«, drängte Gilquin.
    Der Notar ging noch zweimal durch das Gemach; dann streckte er
plötzlich die Hände in die Luft und sank starr, zusammengekrampft
in einen Sessel, von einem Schlaganfalle getroffen. Seiner Frau
liefen die hellen Tränen die Wangen herab, aber sie schwieg.
    Gilquin hatte seine Uhr gezogen und schrie:
    »Gottes Donner!«
    Es war halb sechs. Jetzt mußte er darauf verzichten, am Festmahl
in der Präfektur teilnehmen zu können. Ehe dieser Mensch in einen
Wagen geschafft wurde, mußte mindestens noch eine

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