Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
sich nicht im geringsten helfen. Der Notar lag
in ihren Armen, ohne Widerstand zu
leisten. Man hatte eine Lampe angezündet. Gilquin klopfte vor
Ungeduld in die Hände, während der Korporal unbeweglich dastand und
sein Hut einen mächtigen Schatten an die Decke warf.
    »Fertig?« fragte Gilquin wiederholt.
    Frau Martineau kramte seit fünf Minuten in einem Schranke herum.
Sie zog ein Paar schwarzer Handschuhe daraus hervor und steckte sie
in die Tasche ihres Mannes.
    »Ich hoffe, mein Herr,« fragte sie, »Sie werden mich im Wagen
sitzen lassen? Ich will meinen Mann begleiten.«
    »Das ist unmöglich!« versetzte er barsch.
    Sie schwieg und drang nicht weiter in ihn.
    »Aber Sie werden mir doch wenigstens erlauben, ihm zu folgen?«
fragte sie dann.
    »Die Straße ist frei!« sagte er. »Aber Sie werden keinen Wagen
finden, weil es hier weit und breit keinen gibt.«
    Sie zuckte nur leicht die Achseln und ging hinaus, einen Befehl
zu erteilen. Nach zehn Minuten hielt ein Wagen vor der Tür, hinter
der Kutsche. Jetzt mußte man Herrn Martineau hinunterschaffen. Die
beiden Gendarmen trugen ihn, seine Frau hielt ihm den Kopf. Sobald
der Sterbende die geringste Klage ausstieß, befahl sie den beiden
Männern stillzustehen, was sie trotz der schrecklichen Blicke des
Kommissars auch taten. So gab es auf jeder Treppenstufe einen Halt.
Der Notar schien ein Toter, den man hinaustrug, gekleidet, wie
sich's geziemte. Er mußte besinnungslos in den Wagen gelegt
werden.
    »Halb neun Uhr!« rief Gilquin und warf einen letzten Blick auf
die Uhr. »Verfluchter Dienst! Ich werde überhaupt nicht mehr
rechtzeitig nach Hause kommen!«
    Das war schon so. Er mußte sehr froh sein, wenn er um die Mitte
des Balles anlangte. Er schwang sich fluchend in den Sattel und
hieß den Kutscher scharf zufahren. An der Spitze die Kutsche, zu jeder Seite ein Gendarm,
einige Schritte dahinter der Kommissar und der Korporal, endlich
der Wagen mit Frau Martineau. Die Nacht war sehr kühl. Auf der
grauen, endlosen Straße eilte der Zug durch die schlummernde
Landschaft dahin; nichts war vernehmbar als das dumpfe Rollen der
Räder und der gleichmäßige Galopp der Pferde. Auf dem ganzen Wege
wurde kein Wort gesprochen. Gilquin legte sich die Anrede an seine
Tänzerin zurecht; Frau Martineau erhob sich zuweilen in ihrem
Wagen, sie glaubte, ein Röcheln vernommen zu haben; aber sie konnte
vor sich kaum die Kutsche erkennen, die schwarz und schweigend
dahinrollte.
    Um halb elf Uhr erreichte man Niort. Der Kommissar ließ an den
Wällen entlang fahren, um die Stadt zu umgehen. Am Gefängnisse
mußte geläutet werden. Als der Pförtner den Häftling so weiß und
starr sah, ging er den Direktor wecken. Dieser kam, etwas leidend,
bald in Pantoffeln heraus. Aber er wurde zornig und weigerte sich
entschieden, einen Menschen in diesem Zustande aufzunehmen. Hielt
man etwa das Gefängnis für ein Krankenhaus?
    »Er ist einmal hier, was sollen wir denn mit ihm anfangen?«
fragte Gilquin außer sich über diesen letzten Zwischenfall.
    »Was Sie wollen, Herr Kommissar,« versetzte der Direktor, »aber
ich wiederhole, hierher kommt er nicht. Eine solche Verantwortung
nehme ich nie auf mich.«
    Frau Martineau hatte die Gelegenheit benutzt, zu ihrem Manne in
den Wagen zu steigen. Sie schlug vor, ihn in einen Gasthof zu
bringen.
    »Ja, in den Gasthof, zum Teufel, wohin Sie wollen«, schrie
Gilquin. »Ich hab' es schließlich satt. Fort mit ihm!«
    Dennoch trieb er den Diensteifer so weit, daß er den Notar bis
zur »Stadt Paris« begleitete, wo Frau Martineau absteigen wollte. Der Präfekturplatz begann sich zu
leeren, nur Straßenbuben sprangen noch auf dem Bürgersteige herum,
während die Bürger mit ihren Frauen sich langsam in den dunklen
Straßen verloren, um schlafen zu gehen. Aber die sechs Fenster des
großen Saales erleuchteten den Platz noch immer taghell, die Musik
klang im Schweigen der Nacht noch lauter, die Damen, deren nackte
Schultern man an den Lücken der Vorhänge vorbeigleiten sah, wiegten
ihren nach Pariser Mode geordneten Kopfputz. Während der Notar in
ein Zimmer des ersten Stockes geschafft wurde, bemerkte Gilquin
Frau Gorreur und Fräulein Herminie Billecoq, die ihr Fenster noch
nicht verlassen hatten. Sie lehnten noch immer da, von dem Dunste
des Festes wie berauscht. Frau Correur mußte jedoch ihren Bruder
erkannt haben, denn sie neigte sich so weit vor, daß sie Gefahr
lief herauszufallen. Auf einen hastigen Wink von ihr stieg er
hinauf.
    Etwas

Weitere Kostenlose Bücher