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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Ecke man durch die große Türe gewahrte, stopfte der
erste Staatsanwaltsbeamte die drei Töchter des Forstrates mit
Leckerbissen voll; der Oberst der Achtundsiebziger trank Punsch und
lauschte dabei den Bosheiten des Chefs des Bauamtes, der
Mandeltörtchen knusperte. Herr Kahn wiederholte an der Türe dem
Gerichtspräsidenten sehr laut seine Rede vom Nachmittage über die
Vorteile der neuen Eisenbahn, umgeben von einem dichtgedrängten
Kreise ernster Männer: dem Steuerdirektor, den beiden
Friedensrichtern, den Vertretern der Handelskammer und der
statistischen Gesellschaft, die Maulaffen feilhielten. Im großen
Saale wiegte ein von den Bläsern hell hervorgeschmetterter Walzer
unter den fünf Kronleuchtern die Paare, darunter den Sohn des
Steuereinnehmers und die Schwester des Bürgermeisters, einen der
Staatsanwaltsbeamten mit einem Fräulein in Blau, den andern mit
einem Fräulein in Rosa. Aber besonders ein Paar erregte ein Murmeln
der Bewunderung: der Polizeikommissar und die Frau des
Gymnasialdirektors, die sich eng umschlungen langsam im Tanze
drehten; er hatte sich schleunigst in Wichs geworfen: schwarzen
Frack, Lackstiefel und weiße Handschuhe; und die hübsche Blonde
hatte ihm seine Verspätung verziehen und hing trunken an seinem
Halse, die Augen in Zärtlichkeit schwimmend. Gilquin schwang die
Hüften, seinen Oberkörper zurückwerfend, wie er als Haupttänzer der
öffentlichen Bälle zu tun pflegte, eine verteufelte Würze, deren
Geschmack die Zuschauer entzückte. Rougon, den das Paar beinahe
umgeworfen hätte, mußte sich rasch an die Wand drücken, um die
beiden in einem Wirbel goldgestirnter Tarlatane vorübersausen zu
lassen.

Kapitel 11
     
    Rougon hatte endlich erreicht, daß Delestang Ackerbau- und
Handelsminister wurde. Eines Morgens in den ersten Tagen des Mai
begab er sich in die Kolosseumstraße, um seinen neuen Kollegen
abzuholen. Beide mußten zum Ministerrate nach Saint-Cloud, wo der
Hof vor kurzem Aufenthalt genommen hatte.
    »Wie, Sie wollen uns begleiten?« fragte er überrascht, als er
Clorinde gewahrte, die eben in den Landauer stieg, der vor der
Freitreppe hielt.
    »Gewiß, ich gehe auch zum Ministerrate«, versetzte sie
lachend.
    Dann fuhr sie in ernstem Tone fort, nachdem sie die Volants
ihres langen, hellkirschfarbenen Seidenkleides zwischen den
Sitzpolstern untergebracht hatte:
    »Ich bin zur Kaiserin geladen. Ich bin Schatzmeisterin eines
Wohltätigkeitswerkes für die jungen Arbeiterinnen, wofür sie sich
interessiert.«
    Die beiden Herren stiegen gleichfalls ein. Delestang setzte sich
neben seine Frau und hielt auf den Knien eine gemsfarbene
Saffianmappe; Rougon, der die Hände frei hatte, saß gegenüber
Clorinde. Es war fast halb zehn Uhr, und die Sitzung war für zehn
Uhr angesagt. Der Kutscher erhielt die Weisung, scharf zuzufahren;
um den kürzesten Weg zu nehmen, fuhr er durch die Marbeufstraße in
das Chaillotviertel, das die Zerstörungshacke zu durchbrechen
begann. Man kam durch leere Straßen, von Gärten und Bretterbuden begrenzt, auf abschüssigen Zickzackwegen
über enge, mit dünnen Bäumen bepflanzte Plätze, die recht
provinzmäßig aussahen; kurz: es war der vernachlässigte Winkel
einer Großstadt, der sich auf einem Abhange in der Morgensonne
wärmte mit seinen regellos ausgestreuten Villen und Schuppen
ringsumher.
    »Ist das hier häßlich!« sagte Clorinde, in den Wagen
zurückgelehnt.
    Sie hatte sich halb zu ihrem Gatten gewandt und betrachtete ihn
einen Augenblick nachdenklich; dann begann sie gleichsam wider
Willen zu lächeln. Delestang saß in tadelloser Haltung, weder zu
weit vorwärts noch zu weit rückwärts gebeugt, den Überzieher
zugeknöpft, würdevoll da. Sein schönes, nachdenkliches Gesicht,
seine vorzeitige Glatze, die seine Stirn höher erscheinen ließ,
zogen die Blicke der Vorübergehenden auf ihn. Die junge Frau
bemerkte, daß niemand auf Rougon achtete, der mit seinem plumpen
Gesicht zu schlafen schien. Dann zupfte sie mütterlich die linke
Stulpe ihres Gatten hervor, die sich unter den Ärmel geschoben
hatte.
    »Was haben Sie denn diese Nacht getan?« fragte sie den großen
Mann, als sie sah, daß er häufig die Hand vor den Mund hielt, um
sein Gähnen zu unterdrücken.
    »Ich habe lange wach bleiben müssen, um zu arbeiten; ich bin
ganz hin«, murmelte er. »Eine Menge dummer Geschichten!«
    Wieder schwiegen die drei. Jetzt betrachtete sie Rougon. Dieser
überließ sich dem leichten Schaukeln des Wagens; sein Überrock
wurde durch

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