Seine Exzellenz Eugène Rougon
später, gegen Mitternacht, erreichte der Ball in der
Präfektur seinen Höhepunkt. Die Türen des Speisesaales waren
geöffnet und daselbst ein kalter Imbiß aufgetragen. Die Damen, sehr
rot, fächelten sich, lachten und aßen stehend. Andere tanzten
weiter, um keine Quadrille zu verlieren, und begnügten sich mit
einem Glase Fruchtsaft, das ihnen die Herren brachten. Ein
leuchtender Staub schwebte, in der Luft, gleichsam von den Haaren,
den Röcken und den goldberingten Armen auffliegend, die durch die
Luft sausten. Es war zuviel Gold, zuviel Musik und zuviel Hitze da.
Rougon, der drinnen erstickte, eilte auf einen leisen Wink Du
Poizats hinaus.
Neben dem großen Saale, in dem Zimmer, wo er sie schon am Abend
zuvor gesehen hatte, erwarteten ihn Frau Correur und Fräulein
Herminie Billecoq, beide laut schluchzend.
»Mein armer Bruder, mein armer Martineau!« stammelte erstere, ihre Tränen im Taschentuche verbergend.
»Ach! ich fühlte es wohl, Sie konnten ihn nicht retten … Mein
Gott, warum haben Sie ihn nicht gerettet?«
Er wollte antworten, sie ließ ihm jedoch nicht Zeit dazu.
»Er ist heute verhaftet worden. Eben habe ich ihn gesehen …
Mein Gott, mein Gott!«
»Trösten Sie sich«, sagte er endlich. »Man wird sich für seine
Sache interessieren. Ich hoffe zuversichtlich, daß er freigelassen
wird.«
Frau Correur hörte auf, sich die Augen zu trocknen. Sie sah ihn
an und rief mit ihrer natürlichen Stimme:
»Er ist ja tot.«
Und sogleich fuhr sie in weinerlichem Tone fort, das Gesicht in
ihr Schnupftuch vergrabend:
»Mein Gott, mein Gott! armer Martineau!«
Tot! Rougon fühlte einen leichten Schauder über seine Haut
rieseln. Er fand kein Wort. Zum erstenmal sah er vor sich einen
Abgrund, einen düsteren Abgrund, in den er langsam hinabgestoßen
wurde. Dieser Mensch war also jetzt tot. Das hatte er nicht
gewollt. Die Dinge hatten eine Wendung genommen, an die er nicht
gedacht hatte.
»Leider ja! Der arme liebe Mann ist tot«, berichtete Fräulein
Herminie Billecoq mit tiefen Seufzern. »Wie es scheint, hat man
sich geweigert, ihn im Gefängnisse aufzunehmen. Als wir ihn in
einem so traurigen Zustande ankommen sahen, ist Frau Correur
hinuntergelaufen und hat sich den Eintritt erzwungen, indem sie
rief, sie sei seine Schwester. Eine Schwester hat immer das Recht,
den letzten Atemzug ihres Bruders zu hören, nicht wahr? Das habe
ich auch der nichtsnutzigen Frau Martineau gesagt, die gar davon
redete, uns fortjagen zu lassen. Sie hat uns schon einen Platz vor
dem Bette freigeben müssen! … Oh, mein Gott! es ging sehr
schnell zu Ende. Er hat nicht länger geröchelt als eine Stunde. Er lag auf dem Bette, ganz in
Schwarz gekleidet; man hätte ihn für einen Notar halten mögen, der
zu einer Hochzeit geht. Er ist erloschen wie eine Kerze, nur ein
wenig hat er das Gesicht verzerrt. Es hat ihm nicht viel Schmerz
verursachen können.«
»Und diese Frau Martineau hat schließlich noch Streit mit mir
angefangen!« berichtete Frau Correur ihrerseits. »Ich weiß nicht
mehr, was sie faselte; sie sprach von der Erbschaft und klagte mich
an, meinem Bruder den Rest gegeben zu haben. Ich habe ihr
geantwortet: ›Ich, liebe Frau, hätte ihn niemals fortführen lassen;
eher hätten mich die Gendarmen zerhackt!‹ Und sie hätten mich
zerhackt, wie ich Ihnen sage… Nicht wahr, Herminie?«
»Ja, ja«, bestätigte das Mädchen.
»Schließlich, was wollen Sie, meine Tränen werden ihn nicht
erwecken, aber man weint, um sich zu erleichtern … Mein armer
Martineau!«
Rougon war sehr unzufrieden. Er zog die Hände zurück, deren Frau
Correur sich bemächtigt hatte, und fand noch immer keine
Erwiderung, angewidert durch die Umstände, welche diesen Todesfall
begleitet hatten, und die ihm abscheulich erschienen.
»Sehen Sie!« rief Herminie, an das Fenster tretend, »man sieht
die Kammer von hier aus, da gegenüber in der hellen Beleuchtung,
das dritte Fenster links im ersten Stock … Hinter den
Vorhängen brennt ein Licht.«
Dann verabschiedete er sie, während Frau Correur sich
entschuldigte, ihn ihren Freund nannte und ihre erste Regung
rechtfertigte, der sie nachgegeben, als sie ihm die Trauernachricht
brachte.
»Das ist eine sehr ärgerliche Geschichte!« raunte er Du Poizat
zu, als er, noch ganz bleich im Gesicht, in den Saal
zurückkehrte.
»Dieser Esel von Gilquin ist daran schuld!«
antwortete der Präfekt achselzuckend.
Der Ball hatte seinen vollen Glanz erreicht. Im Speisesaale,
dessen eine
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