Seine Exzellenz Eugène Rougon
Spitzen
gebunden, dessen Enden in ihren Nacken hinabflatterten. Flaminio,
der große, langbärtige Diener mit dem Räubergesicht, stützte sie
von hinten, ja er trug sie fast in seinen Armen. Sie schien nicht
gealtert zu sein, ihr weißes Gesicht bewahrte noch immer das
beständige Lächeln der ehemaligen Schönheitskönigin.
»Warte Mama!« fuhr Clorinde fort. »Ich überlasse dir meinen
Diwan; ich will mich auf das Bett legen. Ich fühle mich nicht wohl,
ich habe ein Tier im Leibe. Eben fängt es wieder an, mich zu
beißen.«
Es gab ein großes Durcheinander. Pozzo und Frau Correur
geleiteten die junge Frau zu ihrem Bette, aber die Decken mußten erst abgeklopft und die Kissen erst
aufgeschüttelt werden. Inzwischen legte sich die Gräfin Balbi auf
den Diwan. Hinter ihr blieb Flaminio stehen, schwarz, stumm, die
Anwesenden mit schrecklichen Blicken musternd.
»Es ist Ihnen doch gleich, ob ich mich hinlege, nicht wahr?«
fragte die junge Frau. »Ich befinde mich im Liegen viel
besser … Ich schicke Sie wenigstens nicht fort, Sie müssen
bleiben.«
Sie hatte sich ausgestreckt, den Ellbogen in ein Kissen
versenkt, so daß ihre schwarze Bluse ein Teich von Tinte auf den
weißen Kissen zu sein schien. Übrigens dachte niemand daran zu
gehen. Frau Correur schwatzte mit Pozzo halblaut über die
Vollendung der Formen Clorindens, die sie beide eben gestützt
hatten. Herr Kahn, Herr Béjuin und der Oberst begrüßten die Gräfin.
Sie verneigte sich lächelnd. Dann sagte sie von Zeit zu Zeit mit
sehr sanfter Stimme, ohne sich umzublicken:
»Flaminio!«
Der lange Lakai verstand sie sogleich, rückte ein Kissen
zurecht, brachte ein Tischchen, zog ein Riechfläschchen aus der
Tasche, alles mit der wilden Miene eines Räubers im Frack.
In diesem Augenblicke richtete August einen Schaden an. Er war
in den drei Zimmern umhergestreift und hatte alle umherliegenden
Weiberröcke untersucht. Als er sich darauf zu langweilen begann,
kam er auf den Einfall, die Gläser Schluck um Schluck zu leeren.
Clorinde überwachte ihn seit einer Weile und sah, wie die
Zuckerschale sich leerte. Da zerbrach er das Glas, worin er den
Löffel zu heftig aufgestoßen hatte.
»Das ist der Zucker! Er tut zuviel hinein!« rief sie.
»Dummkopf!« sagte der Oberst, »kannst du nicht ruhig ein Glas
Wasser trinken? … Morgens und abends ein großes Glas; es gibt nichts Besseres; das schützt vor
allen Krankheiten.«
Zum Glück trat eben Herr Bouchard ein. Er kam etwas spät, nach
zehn Uhr, weil er außer dem Hause hatte essen müssen. Er schien
überrascht, seine Frau nicht da zu finden.
»Herr d'Escorailles wollte sie herbringen, und ich habe
versprochen, sie im Vorbeigehen abzuholen.«
Nach Verlauf einer halben Stunde traf in der Tat Frau Bouchard
ein, begleitet von Herrn d'Escorailles und von Herrn La Rouquette.
Nach einjährigem Zerwürfnis hatte der junge Marquis sich mit der
schönen Blonden wieder ausgesöhnt; ihr Verhältnis wurde jetzt zur
Gewohnheit; dann erwärmten sie sich wieder für acht Tage und
konnten sich es nicht versagen, sich hinter den Türen zu kneifen
und zu küssen, wenn sie einander begegneten. Es kam von selbst,
ganz natürlich mit neuen, sehr lebhaften Aufwallungen ihrer
Begierden. Im offenen Wagen zu dem Ehepaare Delestang kommend,
hatten sie Herrn La Rouquette getroffen. Alle drei hatten sich
lachend unter gewagten Scherzen nach dem Gehölz begeben; Herr
d'Escorailles glaubte sogar einen Augenblick, der Hand des
Abgeordneten hinter dem Rücken der jungen Frau zu begegnen. Als sie
eintraten, brachten sie einen Hauch der Heiterkeit mit, die Frische
der dunklen Alleen des Gehölzes, das Geheimnisvolle des
regungslosen Laubwerkes, wo ihr schäkerndes Gelächter sich
verlor.
»Ja, wir kommen vom Teiche«, sagte Herr La Rouquette. »Man hat
mich verführt, bei meinem Worte! Ich war im Begriffe, ruhig
heimzukehren, um zu arbeiten.«
Er ward plötzlich wieder ernst. In der letzten Sitzung hatte er
eine Rede über die Schuldentilgung gehalten, nachdem er diese Frage
einen Monat hindurch studiert hatte; seither nahm er die würdige
Haltung eines verheirateten Mannes an, als
habe er sein Junggesellenleben auf der Tribüne begraben. Kahn
führte ihn in den Hintergrund des Zimmers und flüsterte:
»Sie stehen ja mit Marsy auf gutem Fuße … «
Ihre Stimmen erloschen; sie sprachen ganz leise. Indessen hatte
die schöne Frau Bouchard, nachdem sie die Gräfin Balbi gegrüßt, vor
dem Bette Platz genommen, wobei sie die Hand
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