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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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betrachten. Die Familie hegte noch
immer eine inbrünstige Verehrung für Heinrich V., doch
hinderte sie den Sohn nicht, sich dem Kaiserreich anzuschließen.
Das gehörte mit zu den bösen Zeitläuften.
    Herr Kahn und Du Poizat schwatzten am Mittelfenster, das sie
geöffnet hatten, um mehr für sich zu sein, und sahen dabei zu den
im Sonnenstaube bläulich glänzenden Dächern der Tuilerien hinüber.
Sie suchten sich gegenseitig durch abgebrochene Worte
auszuforschen; Rougon sei zu empfindlich. Er habe diese Geschichte
mit Rodriguez, die so leicht zu ordnen war, nicht gar so krumm
nehmen sollen. Dann brummte Herr Kahn, die Augen ins Blaue
gerichtet, als wenn er mit sich selbst spreche:
    »Man weiß, daß man fällt; man weiß aber niemals, ob man sich
wieder erheben wird.«
    Du Poizat schien es nicht gehört zu haben. Erst nach längerer
Zeit sagte er:
    »Er ist ein tüchtiger Kerl!«
    Darauf wandte sich der Abgeordnete hastig zu ihm und sagte sehr
rasch:
    »Unter uns: ich fürchte für ihn. Er spielt mit dem Feuer… Wir
sind gewiß seine Freunde und denken nicht daran, ihn zu verlassen.
Ich will nur feststellen, daß er bei alledem an uns durchaus nicht gedacht hat… So hatte
ich jetzt die wichtigsten Interessen in Händen, und er durchkreuzt
sie mir durch seinen tollen Streich. Nicht wahr, er kann es mir
nicht verübeln, wenn ich jetzt an einer andern Türe anklopfe? Denn
schließlich habe nicht ich allein den Schaden, sondern auch die
Bevölkerung.«
    »Man muß an einer andern Tür anklopfen«, bestätigte Du Poizat
lächelnd.
    Doch der andere rief in einem plötzlichen Wutanfall aus: »Ist
das möglich! Dieser Teufelskerl verfeindet einen mit aller Welt!
Hält man es mit ihm, ist man gezeichnet, als habe man ein
Aushängeschild auf dem Rücken.«
    Allmählich beruhigte er sich, seufzte und blickte nach dem
Triumphbogen hinüber, dessen graue Steinmasse aus dem Grün der
Elyseischen Felder auftauchte. Dann fuhr er leise fort:
    »Was wollen Sie? Ich bin treu wie ein Hund.« Im nächsten
Augenblicke stand der Oberst hinter ihnen und sagte mit seiner
Soldatenstimme: »Die Treue ist der Weg der Ehre!« Die beiden
machten ihm Platz, und er fuhr fort: »Rougon wird heute unser
Schuldner; er gehört sich selbst nicht mehr.«
    Das war das Wort, das allen auf der Zunge gelegen. Nein, Rougon
gehörte sich selbst nicht mehr. Und man mußte es ihm rundheraus
sagen, damit er seine Pflichten erkenne. Alle drei besprachen sich
heimlich weiter und teilten sich Hoffnungen mit. Von Zeit zu Zeit
wandten sie sich um und warfen einen spähenden Blick durch das
weite Gemach, um zu sehen, ob nicht ein Freund den großen Mann zu
lange in Beschlag halte.
    Dieser raffte inzwischen die Aktenbündel zusammen, wobei er mit
Frau Bouchard weiter schwatzte. Die Charbonnelsbegannen inzwischen zu streiten in ihrem Winkel, wo
sie bis dahin schweigend und verlegen gesessen hatten. Zweimal
hatten sie versucht, sich Rougons zu bemächtigen, der sich von dem
Obersten und der jungen Frau hatte entführen lassen. Herr
Charbonnel drängte endlich seine Frau auf ihn zu, und diese
stammelte:
    »Heute morgen haben wir einen Brief von Ihrer Mutter erhalten…
«
    Er ließ sie jedoch nicht aussprechen, sondern führte beide in
die Fensternische rechts und ließ seine Akten noch einmal ohne
allzu große Ungeduld im Stiche.
    »Wir haben einen Brief von Ihrer Mutter erhalten«, wiederholte
die Frau und zog das Schreiben hervor, um es zu lesen.
    Er aber nahm es ihr aus der Hand und überflog es mit einem
Blicke. Die Charbonnels, ehemalige Ölhändler in Plassans, waren
Schützlinge der Frau Felicité, wie Rougons Mutter dort hieß. Sie
hatte sie ihm aus Anlaß eines Gesuches empfohlen, das sie an den
Staatsrat gerichtet hatten. Einer ihrer Vettern, ein Herr Chevassu
zu Faverolles, dem Hauptorte eines benachbarten Departements, hatte
bei seinem Tode den Schwestern von der heiligen Familie eine halbe
Million hinterlassen. Die Charbonnels, die nach dem Ableben eines
Bruders des Verstorbenen plötzlich wider Erwarten Anrechte auf die
Erbschaft bekommen hatten, schrien über Erbschleicherei; da der
Orden vom Staatsrate die Ermächtigung erbeten hatte, das
Vermächtnis anzunehmen, eilten sie nach Paris und ließen sich im
Hotel du Périgord, Jakobstraße, nieder, um ihre Angelegenheit in
der Nähe verfolgen zu können. Die Sache zog sich aber schon ein
halbes Jahr lang hin.
    »Wir sind sehr betrübt!« seufzte Frau Charbonnel, während Rougon
den Brief las. »Ich

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