Seine Exzellenz Eugène Rougon
Kirche zu
erinnern, und sagte nichts mehr. Seine Freunde in der Runde
schwiegen ebenfalls. Sie bildeten in einem Winkel des Platzes eine
kleine Gruppe für sich. Vor ihnen strömte die Menge immer dichter
vorüber: die hohen Richter in Amtstracht, die Offiziere in voller
Parade, die Hofwürdenträger in Uniform, eine betreßte, verbrämte,
ordengeschmückte Menge, welche die ausgestreuten Blumen zertrat,
mitten unter den Rufen der Diener und dem Rollen der abfahrenden
Wagen. Der Glanz des Kaiserreiches, das auf seiner Sonnenhöhe
stand, wogte im Purpur der sinkenden Sonne, und die Türme der
Liebfrauenkirche, rosig und hallend, schienen das künftige Reich
des eben unter ihren Gewölben getauften Kindes auf den Gipfel des
Friedens und der Größe emporzutragen. Die Unzufriedenen abseits
aber fühlten nur eine unendliche Gier bei dem Anblicke des Glanzes
der Feierlichkeit, bei dem Glockengeläute, den entfalteten Bannern,
der begeisterten Stadt, der offiziellen Welt, die hier Staat
machte. Rougon, der zum ersten Male die Kälte seiner Ungnade
empfand, sah sehr blaß aus und beneidete – in seine Gedanken
versunken – den Kaiser.
»Guten Abend, ich gehe, es wird mir zuviel!« sagte Du Poizat,
nachdem er den anderen die Hand gereicht.
»Was haben Sie denn heute?« fragte ihn der Oberst, »Sie sehen ja
so wütend aus!«
Der Unterpräfekt erwiderte ruhig, indem er ging:
»Warum soll ich vergnügt sein? … Ich habe heute früh im
Moniteur gelesen, daß dieser einfältige Campenon die Präfektur
erhalten hat, die man mir versprochen.«
Die anderen blickten sich an. Du Poizat hatte recht, sie
gehörten nicht zum Feste. Rougon hatte ihnen seit der Geburt des
Prinzen einen ganzen Regen von Geschenken für den Tauf tag versprochen: Herr Kahn sollte seine
Eisenbahnkonzession haben, der Oberst das Kommandeurkreuz, Frau
Correur die fünf oder sechs Tabaksverschleißrechte, die sie
wünschte. Jetzt standen sie alle da im Winkel auf einem Haufen mit
leeren Händen. Sie warfen so trostlose, vorwurfsvolle Blicke auf
Rougon, daß dieser nur ein schreckliches Achselzucken als
Erwiderung hatte. Als sein Wagen endlich kam, schob er Clorinde
hastig hinein, schloß sich ebenfalls daselbst ein, ohne ein Wort zu
sagen, und klappte die Tür heftig zu.
»Da ist Marsy in der Vorhalle!« flüsterte Herr Kahn und zog
Herrn Béjuin mit sich. »Wie hochnäsig dieser Schuft
dreinschaut! … Wenden Sie sich ab, er würde unsern Gruß doch
nicht erwidern.«
Delestang hatte sich schnell in seinen Wagen geworfen, um dem
Rougons zu folgen. Herr Bouchard wartete noch auf seine Frau; als
er endlich die Kirche leer sah, war er sehr überrascht und ging mit
dem Obersten, der ebenfalls das Suchen nach August aufgegeben
hatte, von dannen. Frau Correur endlich nahm den Arm eines
Dragonerleutnants, der zum Teil ihr seine Achselstücke
verdankte.
Im Wagen redete Clorinde inzwischen entzückt von der Feier, und
Rougon hörte ihr zurückgelehnt mit schläfrigem Gesichte zu. Sie
hatte das Osterfest zu Rom gesehen; es war nicht großartiger
gewesen. Sie erklärte, die Religion sei für sie ein Winkel des
Paradieses, wo Gott Vater wie eine Sonne auf dem Throne saß
inmitten der Herrlichkeit der Engel, die in jugendlicher Schönheit
und in goldenen Gewändern um ihn her aufgestellt sind. Plötzlich
fragte sie:
»Werden Sie heute abend zu dem Festessen kommen, das die Stadt
Ihren Majestäten gibt? Es wird herrlich!«
Sie war eingeladen. Sie würde ein rosa Kleid tragen, ganz mit
Vergißmeinnicht besät, Herr von Plouguern werde siehinbegleiten, weil ihre Mutter am Abend ihrer Migräne
wegen nicht mehr ausgehen wolle. Dann unterbrach sie sich nochmals
ebenso jäh und fragte:
»Wer war denn der Richter, mit dem Sie eben gingen?« Rougon hob
das Kinn und sagte in einem Atem: »Herr Beulin d'Orchère, fünfzig
Jahre alt, aus einem Richtergeschlechte, war
Staatsanwaltsstellvertreter zu Montbrison, königlicher Anwalt zu
Orleans, Generaladvokat zu Rouen, im Jahre 1852 Mitglied einer
gemischten Kommission, kam dann als Appellationsgerichtsrat nach
Paris und ist heute Präsident dieses Gerichtes … Fast hätte
ich vergessen, er hat den Erlaß vom 22. Januar 1852 gebilligt,
wodurch die Güter des Hauses Orleans mit Beschlag belegt
wurden … Genügt Ihnen das?«
Clorinde lachte aus vollem Halse. Er machte sich über sie
lustig, weil sie ihre Kenntnisse erweitern wollte; aber es war doch
gewiß erlaubt, nach den Leuten zu fragen, denen man begegnen
konnte.
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