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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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aller
Bescheidenheit, ohne Tausende und Hunderte zu verlangen. Man kennt
seinen eigenen Wert. Das tröstet einen über den kleinlichen
Jammer … Gotts Donner, sind denn Freunde keine Freunde
mehr?« …
    Er redete jetzt ganz zärtlich, von Rülpsen unterbrochen. Rougon
winkte vorsichtig einen Mann heran, der in einten langen Rock
geknöpft neben dem Wagen stand, und den er kannte. Leise mit ihm
sprechend gab er ihm Gilquins Wohnung an: Virginiestraße 17, bei
Grenelle. Der Mann näherte sich den Schutzleuten, als wolle er
ihnen helfen, den sich Sträubenden fortzuschaffen. Die Menge war
jedoch sehr erstaunt, als sie sah, wie jene sich nach links
wandten, Gilquin in einen Mietwagen warfen und den Kutscher das
Gerberufer entlangfahren hießen. Gilquin aber schob seinen
geschwollenen, zerrauften, dicken Kopf mit einem Grinsen des
Triumphes noch einmal aus dem Fenster und brüllte:
    »Hoch die Republik!«
    Nachdem der Auflauf zerstreut war, nahmen die Ufer ihre Stille
wieder an. Paris saß müde von der Begeisterung bei Tische; die
dreihunderttausend Neugierigen, die sich dort zusammengedrängt,
hatten die Gasthäuser am Strome und im Tempelviertel gestürmt. Auf
den öden Fußwegen schleppten sich nur noch einige kreuzlahme
Provinzleute hin, die nicht wußten, wo sie speisen sollten. Am Ufer
klopften auf beiden Seiten der Waschanstalt die Wäscherinnen die
letzten Wäschestücke mit verdoppelter Emsigkeit. Ein Sonnenstrahl
vergoldete noch die Spitzen der jetzt stummen Liebfrauentürme hoch
über den Häusern, die alle schon im
Schatten lagen. In dem leichten Nebel, der von der Seine aufstieg,
unterschied man unten auf der Spitze der St.-Ludwig-Insel, in dem
Grau der Hausfronten nichts mehr als den riesigen Überrock, diese
ungeheuerliche Reklame, die an einen Nagel des Horizontes die Hülle
eines Titanen aufzuhängen schien, dessen Glieder der Blitz verzehrt
hat.

Kapitel 5
     
    Eines Morgens gegen elf Uhr kam Clorinde zu Rougons Wohnung in
die Marbeufstraße. Sie kehrte vom Gehölze zurück; ein Diener hielt
vor der Türe ihr Pferd. Sie durchschritt den Garten, wandte sich
links und pflanzte sich vor einem großen offenen Fenster des
Zimmers auf, in dem der große Mann arbeitete.
    »Nicht wahr, ich habe Sie überrascht?« sagte sie plötzlich.
    Rougon erhob lebhaft den Kopf und sah sie lachend, von der
warmen Junisonne überströmt, vor sich stehen. Ihre Amazonentracht
aus dunkelblauem Tuch, deren lange Schleppe sie über dem linken Arm
trug, ließ sie noch größer erscheinen als sonst, ihr Westenleibchen
mit kleinen runden Schößen und sehr eng anschließend, schmiegte
sich wie eine lebendige Haut um Schultern, Hals und Hüften. Sie
trug leinene Stulpen und Kragen, unter diesem eine schmale blaue
Krawatte. Auf ihrem Kopfe saß sehr kühn ein Herrenhut, um den ein
blauer Schleier von duftiger Gaze flatterte, von den Sonnenstrahlen
wie mit einem Goldstaube bestreut.
    »Wie! Sie sind es!« rief Rougon und eilte herbei. »Aber treten
Sie doch ein!«
    »Nicht doch!« wehrte sie ab, »ich will Sie nicht stören, sondern
Ihnen nur ein Wort sagen. Meine Mutter erwartet mich zum
Frühstück.«
    Dies war der dritte Besuch, den sie so Rougon gegen alle Anstandsregeln abstattete. Nur bestand sie
darauf, im Garten zu bleiben. Übrigens war sie auch die beiden
ersten Male in Amazonentracht gekommen, die ihr die Freiheit eines
Junggesellen gab, und deren langer Rock ihr ein ausreichender
Schutz schien.
    »Ich komme als Bettlerin«, fuhr sie fort … »Wir haben eine
Verlosung zum Besten armer Mädchen veranstaltet.«
    »Gut, so kommen Sie doch herein«, wiederholte er. »Sie können es
mir hier besser erklären.«
    Sie hielt ihre kleine Reitpeitsche mit silbernem Griff noch in
der Hand, klopfte ihr Kleid damit und versetzte lachend:
    »Es ist weiter nichts zu erklären. Nehmen Sie mir nur die Lose
ab; ich habe Sie deshalb drei Tage lang gesucht, ohne Ihrer habhaft
werden zu können, und morgen ist die Ziehung.«
    Sie zog ein kleines Taschenbuch hervor und fragte:
    »Wieviel Lose wünschen Sie?«
    »Nicht ein einziges, wenn Sie nicht hereinkommen!« rief er und
fügte scherzend hinzu:
    »Seit wann macht man Geschäfte durchs Fenster ab! Ich werde
Ihnen doch das Geld nicht hinausreichen wie einer Armen!«
    »Mir gleichviel, rücken Sie nur heraus!«
    Aber er gab nicht nach. Sie sah ihn einen Augenblick an und
fragte darauf:
    »Wenn ich hineinkomme, werden Sie zehn Lose nehmen? Das Stück zu
zehn Franken.«
    Sie zögerte noch,

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