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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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lauter, um gehört zu werden, und zögerte umzukehren,
als Clorinde oben erschien, sich über das Geländer beugte und
rief:
    »Kommen Sie doch herauf! Ist das Mädchen einfältig! Sie versteht
niemals, was man ihr befiehlt.«
    Im ersten Stock ließ sie ihn in ein kleines Gelaß neben ihrer
Kammer eintreten. Es diente ihr als Ankleidezimmer, die Tapeten
zeigten ein zartblaues Gezweige; an der Wand stand ein großer
Schreibtisch von matt gewordenem Mahagoniholz, davor ein
Ledersessel, daneben ein Mappenschrank. Unter einer dicken
Staubschicht lagen Papierschnitzel herum, so daß man bei einem
schmutzigen Gerichtsvollzieher zu sein glaubte.
    Während sie aus ihrer Kammer einen zweiten Stuhl holte, rief sie
heraus:
    »Ich habe Sie erwartet.«
    Nachdem sie den Stuhl gebracht, erklärte sie, sie sei gerade
beim Briefschreiben, und wies auf große Bogen gelblichen Papiers,
die auf dem Schreibtische lagen und mit einer großen, runden
Schrift bedeckt waren. Als Rougon sich setzte, bemerkte sie, daß er
im Frack war, und fragte lachend:
    »Sie kommen, um meine Hand anzuhalten?«
    »Getroffen!« versetzte er und fuhr lächelnd
fort:
    »Aber nicht für mich, sondern für einen meiner Freunde.«
    Sie sah ihn an ungewiß, ob er scherze oder nicht. Sie war
ungekämmt, schmutzig, in einem roten, schlechtsitzenden Hausrocke,
aber trotzdem schön, schön wie ein antiker Marmor im Laden einer
Trödlerin. An einem ihrer Finger saugend, der einen Tintenfleck
aufwies, starrte sie auf die leichte Narbe, die man noch auf
Rougons linker Wange sah. Endlich wiederholte sie zerstreut:
    »Ich war überzeugt, daß Sie kommen würden. Aber ich habe Sie
früher erwartet.«
    Lauter fuhr sie fort, als erinnere sie sich erst jetzt seiner
Worte:
    »Also, Sie kommen im Namen eines Freundes, ohne Zweifel Ihres
liebsten Freundes?«
    Sie ließ wieder ihr helles Lachen hören. Denn sie war überzeugt,
daß Rougon sich selbst meinte. Sie fühlte ein lebhaftes Verlangen,
die Narbe mit dem Finger zu berühren, um sich zu überzeugen, daß
sie ihn gezeichnet, daß er also von jetzt an ihr gehöre. Aber
Rougon ergriff ihre Hände und setzte sie sanft auf den
Ledersessel.
    »Lassen Sie uns miteinander reden, wollen Sie? Wir sind zwei
gute Freunde; sind Sie es zufrieden? … Ich habe seit
vorgestern reiflich überlegt, die ganze Zeit an Sie gedacht… Ich
stellte mir vor, wir wären Eheleute, seit einem Vierteljahre
verheiratet. Wissen Sie, womit ich uns beide beschäftigt sah?«
    Sie antwortete nicht, schien ein wenig verlegen trotz ihrer
sonstigen Keckheit; er aber fuhr fort:
    »Ich sah uns am Kamin. Sie hatten die Schaufel ergriffen, ich
die Feuerzange, und so schlugen wir aufeinander los.«
    Das schien ihr so drollig, daß sie sich vor
Lachen wälzte. Er aber redete weiter:
    »Nein, lachen Sie nicht, es ist mein voller Ernst. Es hat keinen
Zweck, uns zusammenzuschmieden, um uns nachher gegenseitig
totzuschlagen. Das aber würde das Ende sein, ich schwöre es Ihnen.
Zunächst Streit, dann Scheidung … Merken Sie es sich wohl: man
soll nie zwei Menschen mit starkem Willen zu vereinigen
suchen.«
    »Also?« fragte sie, sehr ernst geworden.
    »Also, denke ich, wir tun am besten, wenn wir uns die Hand
reichen und füreinander nur warme Freundschaft bewahren.«
    Sie schwieg und senkte ihre großen schwarzen Augen gerade in die
seinigen. Eine schreckliche Falte furchte ihre Stirne einer
beleidigten Göttin. Ihre Lippen bebten; es war ein stilles,
verächtliches Stammeln.
    »Erlauben Sie?« sagte sie.
    Damit rückte sie den Sessel wieder vor den Tisch und begann ihre
Briefe zu falten. Sie benützte nach Art der Verwaltungsbehörden
große graue Briefumschläge, die sie versiegelte. Sie hatte eine
Kerze angezündet und blickte in den flammenden Lack. Rougon wartete
geduldig, bis sie fertig sei.
    Endlich fragte sie, ohne von ihrer Beschäftigung
aufzublicken:
    »Deshalb sind Sie gekommen?«
    Diesmal antwortete er nicht, er wollte ihr Gesicht sehen. Als
sie sich endlich entschloß, ihren Sessel wieder herumzuwenden,
lächelte er ihr zu und suchte ihren Augen zu begegnen; dann küßte
er ihr die Hand, wie um sie zu entwaffnen; sie aber bewahrte ihre
hochmütige Kälte.
    »Ich habe Ihnen mitgeteilt,« sagte er, »daß ich für einen meiner
Freunde Ihre Hand erbitte.«
    Darauf redete er lange auf sie ein. Er liebe
sie viel mehr, als sie glaube, er liebe sie besonders wegen ihrer
Klugheit und Kraft. Es werde ihm schwer, ihr zu entsagen, aber er
opfere seine Leidenschaft

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