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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ihrer beider Glück. Er wolle sie mit
einem reichen Manne verheiratet sehen, den sie nach Belieben werde
lenken können; sie werde Herrin sein und ihre Persönlichkeit nicht
aufzugeben brauchen. Sei das nicht besser, als wenn sie beide sich
gegenseitig lahmlegen wollten? Sie könnten – nein, sie müßten sich
diese Wahrheiten ins Gesicht sagen; sie seien die Leute danach.
Schließlich nannte er sie sein Kind, seinen lieben Taugenichts,
dessen Ränkegeist ihn erfreue; sie in beschränkten Verhältnissen zu
sehen, werde ihn wahrhaft betrüben.
    »Das ist alles?« fragte sie, als er schwieg.
    Sie hatte ihn mit der gespanntesten Aufmerksamkeit angehört und
fuhr jetzt fort, die Augen zu ihm aufschlagend:
    »Wenn Sie mich verheiraten wollen, um mich zu besitzen, dann
haben Sie sich verrechnet… Ich habe gesagt: Niemals! Verlassen Sie
sich darauf!«
    »Welcher Einfall!« rief er leicht errötend.
    Er hustete, nahm vom Schreibtische ein Papiermesser und prüfte
den Griff, damit Clorinde seine Verlegenheit nicht bemerke. Sie
jedoch kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern saß in Gedanken
versunken da und fragte endlich leise:
    »Und wen soll ich heiraten?«
    »Raten Sie!«
    Sie lächelte still und trommelte achselzuckend mit den Fingern
auf dem Schreibtisch, obgleich sie es sehr genau wußte. Endlich
sagte sie halblaut:
    »Er ist so dumm!«
    Rougon nahm Delestang in Schutz. Er sei ein vorzüglicher Mensch,
mit dem sie alles werde machen können, was sie wolle. Er berichtete Näheres über seine
Gesundheit, sein Vermögen, seine Gewohnheiten. Übrigens
verpflichtete er sich, dem Paare seinen ganzen Einfluß zur
Verfügung zu stellen, wenn er je wieder zur Macht gelangen solle.
Delestang sei vielleicht kein überlegener Geist, aber er werde
jeden Platz ausfüllen, wohin man ihn stelle.
    »Er entspricht dem Programm, das gebe ich Ihnen zu!« gestand sie
mit freimütigem Lächeln.
    Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort:
    »Mein Gott, ich sage nicht nein; vielleicht haben Sie recht…
Herr Delestang mißfällt mir nicht.«
    Bei diesen letzten Worten sah sie ihn an. Sie glaubte,
wiederholt bemerkt zu haben, daß er auf Delestang eifersüchtig war;
aber sein Gesicht blieb unbeweglich. Er hatte in der Tat genügend
starke Fäuste, um in zwei Tagen seine Begierde zu töten. Im
Gegenteil schien er vom Erfolge seines Schrittes entzückt und
begann ihr von neuem die Vorteile einer solchen Verbindung
auszumalen, als ob er als gegnerischer Advokat ihr ein besonders
günstiges Geschäft erläutern wolle. Er hatte ihre Hände ergriffen,
tätschelte sie freundschaftlich mit der Miene eines glücklichen
Genossen und wiederholte:
    »Diese Nacht ist es mir erst eingefallen, und ich sagte mir
sogleich: Das ist unsere Rettung! … Ich will nicht, daß Sie
unverheiratet bleiben! Sie sind das einzige Weib, das mir eines
Mannes wert zu sein scheint. Delestang bringt unsere Sache, in
Ordnung. Mit ihm behalten wir freien Spielraum.«
    Vergnügt schloß er:
    »Ich denke, Sie werden mich entschädigen, indem Sie mir
außerordentliche Dinge zeigen.«
    »Kennt Herr Delestang Ihre Pläne?« fragte sie.
    Einen Augenblick war er überrascht, als ob ihr ein
Wort entschlüpft sei, das er von ihr nicht
erwartet hatte; dann versetzte er ruhig:
    »Nein, das ist überflüssig. Er wird es später erfahren.« Sie
hatte sich wieder an das Siegeln ihrer Briefe gemacht. Wenn sie ein
großes Siegel ohne Anfangsbuchstaben auf den Lack gedrückt hatte,
drehte sie den Brief herum und: versah ihn langsam und in großen
Buchstaben mit der Aufschrift. Es waren größtenteils die Namen sehr
bekannter italienischer Staatsmänner. Sie schien seine Neugier zu
bemerken, denn sie sagte, indem sie sich erhob und die Briefe
zusammenraffte, um sie zur Post zu geben:
    »Wenn Mama ihre Migräne hat, muß ich schreiben.« Damit ging sie
hinaus. Rougon begann in dem Zimmerchen auf und ab zu wandern. An
dem Mappenschrank las er wie bei Geschäftsleuten die Aufschriften:
Quittungen, zu ordnende Briefe, Akten A. usw. Er lächelte, als er
unter den Papierschnitzeln am Boden ein zerrissenes Mieder
herumliegen sah. Im Tintenfaß lag ein Stück Seife, am Boden blaue
Samtfetzen, Überreste von einer Flickschneiderei, die man
fortzufegen vergessen hatte. Da die Türe zum Schlafzimmer halb
offen stand, steckte er neugierig den Kopf hinein; aber die
Vorhänge waren dicht geschlossen, und es war drinnen so finster,
daß nur die dunkle Masse des Bettes zu erkennen war. Eben trat
Clorinde

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