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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wieder ein, und er sagte:
    »Ich speise heute abend bei unserm Manne. Lassen Sie mir freie
Hand?«
    Sie antwortete nicht gleich. Sie sah finster drein, als habe sie
auf der Treppe abermals über die Sache nachgedacht. Er stand schon
am Geländer, aber sie führte ihn zurück und schloß die Tür. Ihr
Traum sank vor ihr zusammen, eine Hoffnung, in die sie sich so fest
eingewiegt hatte, daß sie sie noch vor einer Stunde als Gewißheit
ansah. Die ganze Glut einer tödlichen
Beleidigung stieg ihr in die Wangen; es schien ihr, als sei sie
geohrfeigt worden.
    »Also es ist ernst?« fragte sie und stellte sich mit dem Rücken
gegen das Licht, damit er die Röte ihrer Wangen nicht bemerke.
    Er brachte seine Gründe zum drittenmal vor; sie aber schwieg.
Sie fürchtete beim Sprechen sich von der Wut hinreißen zu lassen,
die sie in ihrem Kopfe hämmern fühlte. Sie fürchtete, sich an ihm
zu vergreifen. Während sie das Leben, das sie sich schon so schön
ausgemalt hatte, in Trümmer sinken sah, verwirrten sich ihre Blicke
und Gedanken, sie trat zur Tür ihres Schlafzimmers, im Begriff
einzutreten, Rougon hineinzuzerren und ihm zuzurufen: »Da, nimm
mich, ich vertraue mich dir an, und nur wenn du es willst, werde
ich nachher deine Frau sein!«
    Rougon, der, noch immer sprach, begriff sie plötzlich und
schwieg erbleichend. Sie sahen einander an, und einen Augenblick
schwankten sie, am ganzen Leibe zitternd. Er sah wieder das Bett im
Schatten seiner Vorhänge. Sie berechnete schon die Folgen ihrer
Großmut. Doch ging es bei beiden schnell vorüber, und sie sagte
langsam:
    »Sie wünschen diese Verbindung?«
    Ohne im geringsten zu zögern, versetzte er nachdrücklich:
    »Ja.«
    »Nun gut, handeln Sie danach!«
    Beide wandten sich mit kleinen Schritten der Tür zu und traten
in sehr ruhiger Haltung auf den Flur hinaus. Nur an Rougons
Schläfen zeugten einige Schweißtropfen noch von dem Kampfe, den ihm
dieser letzte Sieg gekostet. Clorinde richtete sich im Bewußtsein
ihrer Kraft auf. Einen Augenblick standen sie einander stumm
gegenüber; sie hatten sich nichts mehr zu sagen und konnten sich
doch nicht trennen. Als er ihr endlich die
Hand reichte und sich abwenden wollte, hielt sie ihn mit kurzem
Drucke zurück und sagte:
    »Sie halten sich für stärker, als ich bin… Sie irren sich… Eines
Tages werden Sie es vielleicht bedauern.«
    Sie drohte ihm nicht mehr. Sie lehnte sich auf das Geländer, um
ihn hinabsteigen zu sehen. Als er unten war, blickte er noch einmal
hinauf, und sie lächelten einander zu. Sie dachte nicht mehr an
eine kindische Rache; sie träumte schon davon, ihn durch einen
großartigen Triumph zu vernichten. In das Zimmer zurücktretend,
sagte sie unwillkürlich halblaut:
    »Um so schlimmer! Jeder Weg führt nach Rom!«
    Noch an diesem Abend begann Rougon Delestangs Herz zu belagern.
Er berichtete ihm schmeichelhafte Ausdrücke, die angeblich Fräulein
Balbi beim Festessen im Rathause am Tauftage über ihn geäußert
hatte. Er wurde nicht müde, den ehemaligen Anwalt von der
außerordentlichen Schönheit des Mädchens zu unterhalten. Er, der
ihn früher so oft vor den Frauen gewarnt, suchte ihn dieser einen
mit gebundenen Händen und Füßen zu überliefern. Bald rühmte er ihre
wundervollen Hände, bald redete er mit verlockender
Rückhaltlosigkeit von ihrem Wüchse. Delestang, dessen leicht
entzündliches Herz schon ohnehin von Clorinde eingenommen war,
brannte bald lichterloh. Als Rougon ihm sagte, er selbst habe nie
an sie gedacht, gestand er, daß er sie seit einem halben Jahre
liebe, jedoch geschwiegen habe, um ihm nicht ins Gehege zu gehen.
Nunmehr ging er jeden Abend zu Rougon, um mit ihm von ihr zu
plaudern. Es war gleichsam alles gegen ihn verschworen: er konnte
niemanden mehr anreden, ohne das Lob seiner Angebeteten zu
vernehmen; selbst die Charbonnels hielten ihn eines Morgens mitten
auf dem Eintrachtsplatze an und äußerten
weitläufig ihre Bewunderung für »das schöne Mädchen, mit dem man
ihn überall sehe«.
    Clorinde ihrerseits hatte ein köstliches Lächeln angenommen. Sie
hatte einen neuen Lebensplan entworfen und sich nach wenigen Tagen
in ihre neue Rolle gefunden. Sie war klug genug, den ehemaligen
Anwalt nicht durch die ritterliche Keckheit verführen zu wollen,
die sie eben bei Rougon versucht hatte; Sie verwandelte sich in
eine schmachtende, leicht zu verletzende Unschuld, sagte, sie sei
so nervös, daß ein zu zärtlicher Händedruck sie krank mache. Als
Delestang Rougon

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