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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie sich und redete von
einem andern Besuche, den sie noch abstatten müßten. Als Rougon
ihnen das Geleite gab, hielt sie ihn zurück und ließ ihren Mann
vorausgehen. Dabei flüsterte sie ihm ins Ohr:
    »Ich habe es Ihnen wohl gesagt, daß Sie vor Ablauf eines Jahres
heiraten würden!«

Kapitel 6
     
    Der Sommer kam, Rougon lebte in völliger Ruhe. Frau Rougon hatte
in einem Vierteljahre dem Hause, in dem früher ein gewisser
Abenteurerduft herrschte, ein ernstes, solides Gepräge verliehen.
Jetzt sahen die Zimmer etwas kühl, sehr sauber und ehrbar aus; die
Möbel waren ordnungsgemäß aufgestellt, die Fenstervorhänge ließen
nur einen schmalen Lichtstreifen herein, Teppiche dämpften jedes
Geräusch und verliehen den Räumen eine fast klösterliche Stille und
Strenge; selbst das Hausgerät schien alt, und man glaubte in eine
altererbte, von einem patriarchalischen Duft erfüllte Behausung zu
treten. Diese große, häßliche Frau, die beständig alles
beaufsichtigte, steigerte noch die Stille durch ihren unhörbaren
Gang und führte den Haushalt mit so leichter und doch fester Hand,
als sei sie darin während einer zwanzigjährigen Ehe alt
geworden.
    Rougon lächelte, wenn man ihn beglückwünschte. Er blieb steif
und fest dabei, daß er auf den Rat und nach der Wahl seiner Freunde
geheiratet habe. Er war von seiner Frau entzückt; so lange hatte er
sich nach einem gut bürgerlichen Heim gesehnt, das gleichsam einen
handgreiflichen Beweis für seine Rechtlichkeit liefern sollte. Dies
zog ihn vollends aus seiner zweifelhaften Vergangenheit zu den
anständigen Leuten empor. Seine Neigungen schmeckten noch sehr nach
der Provinz; ihm schwebten noch immer als Ideal gewisse
spießbürgerlich behagliche Salons von Plassans vor Augen, wo die Sessel das ganze Jahr lang
mit weißen leinenen Überzügen bedeckt waren. Wenn er Delestang
besuchte, wo Clorinde ihrer Verschwendungssucht freien Raum ließ,
zuckte er geringschätzig die Achseln. Nichts schien ihm so
lächerlich, als das Geld zum Fenster hinauszuwerfen; nicht als ob
er geizig gewesen sei, aber er pflegte zu sagen, er kenne Freuden,
die allen käuflichen Genüssen vorzuziehen seien. Auch hatte er
seiner Frau die Sorge um ihr gemeinsames Vermögen überlassen. Bis
dahin hatte er gelebt, ohne zu rechnen; seither verwaltete, sie das
Geld mit derselben Sorgfalt und Genauigkeit, die sie in der Führung
des Haushaltes bekundete.
    Während der ersten Monate schloß Rougon sich ein, sammelte sich
und bereitete sich auf die Kämpfe vor, von denen er träumte. Er
liebte die Macht nur um der Macht willen, ohne eitle Gelüste nach
Reichtum und Ehren zu hegen. Von der gröblichsten Unwissenheit, von
der erstaunlichsten Mittelmäßigkeit in allem, was keinen Bezug auf
die Behandlung der Menschen hatte, wurde er den anderen nur durch
seine Herrschsucht überlegen. Hier liebte er, sich stark zu zeigen,
hier trieb er mit seiner Klugheit Götzendienst. Über der Menge zu
stehen, in der er nichts als Dummköpfe und Lumpen sah, die Welt mit
Knütteln vom Fleck zu bringen, das entwickelte in seinem
schwerfälligen Leibe eine große Geschicklichkeit, eine
außergewöhnliche Tatkraft. Er glaubte nur an sich selbst, hatte
Überzeugungen, wo andere Gründe haben, und ordnete alles dem steten
Wachstum seiner Person unter. Keinem Laster unterworfen, gab er
sich heimlich ausschweifenden Träumen von Allmacht hin. Hatte er
von seinem Vater die gedrungene Gestalt, das schwammige Gesicht
geerbt, so war ihm von seiner Mutter, der schrecklichen Felicité,
die Plassans regierte, ein leidenschaftliches Machtverlangen
überkommen, das kleine Mittel und kleine
Freuden verachtete; so war er gewiß der größte aller Rougons.
    Wenn er sich allein fand, unbeschäftigt nach jahrelanger
angestrengter Tätigkeit, empfand er anfangs ein köstliches
Schlummergefühl. Seit den heißen Tagen von 1851 glaubte er, gar
nicht geschlafen zu haben. Er nahm die Ungnade, in die er gefallen
war, als einen Abschied hin, auf den er durch lange Dienste ein
Anrecht erworben. Er dachte ein halbes Jahr beiseite zu bleiben,
einen günstigeren Boden für seine Tätigkeit zu wählen und dann nach
Gefallen wieder in den großen Kampf einzutreten. Aber schon nach
einigen Wochen war er der Ruhe müde. Nie hatte er ein so klares
Bewußtsein seiner Kraft gehabt; jetzt, da er seinen Kopf und seine
Glieder nicht gebrauchte, standen sie ihm geradezu im Wege, und er
verbrachte die Zeit mit Lustwandeln in seinem Gärtchen, mit

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