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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dem
schrecklichen Gähnen eines Löwen, der im Zwinger seine
steifgewordenen Glieder reckt. Dann begann für ihn ein verhaßtes
Leben, dessen niederdrückende Langeweile er sorgfältig verbarg; er
gab sich gemütlich, erklärte sich völlig zufrieden, aus dem »Quark«
heraus zu sein; nur seine schweren Lider hoben sich manchmal, die
Ereignisse scharf verfolgend, aber sie sanken sofort wieder über
seine flammenden Augen herab, wenn man ihn beobachtete. Was ihn
aufrecht erhielt, war gerade die Unbeliebtheit, von der er sich
umgeben wußte. Sein Sturz hatte sehr viele mit Freude erfüllt; kein
Tag verging, ohne daß irgendein Blatt ihn angriff; ihn sah man als
die Verkörperung des Staatsstreiches an, der Ächtungen und all der
Gewalttätigkeiten, von denen man in verhüllten Worten redete; ja,
man beglückwünschte sogar den Kaiser, daß er sich von einem Diener
losgesagt habe, der ihn bloßstellte. In den Tuilerien war der Haß
gegen ihn noch größer, Marsy hechelte ihn mit allerlei Witzen durch, die von seinen Zuhörerinnen in Umlauf
gesetzt wurden. Der Haß aber gereichte ihm nur zur Befriedigung und
bestärkte ihn in seiner Verachtung der menschlichen Herde. Man
vergaß ihn nicht, man verabscheute ihn, und das gefiel ihm. Er
allein gegen alle, das war ein Gedanke, der ihm schmeichelte; er
allein mit einer Peitsche die nach ihm schnappenden Gebisse
abwehrend. Er berauschte sich in den Beleidigungen, und in dem
Stolze seiner Einsamkeit ward er nur größer.
    Inzwischen lastete der Müßiggang schrecklich auf seinen
Ringkämpfermuskeln. Hätte er es gewagt, er hätte einen Spaten
genommen und damit einen Winkel seines Gartens umgegraben. Er
unternahm eine große Arbeit: eine vergleichende Darstellung der
englischen Verfassung und der kaiserlichen vom Jahre 1852, wobei er
auf die Geschichte und die politischen Sitten beider Völker
Rücksicht nahm,, um zu beweisen, daß die Freiheit in Frankreich
ebenso groß sei wie in England. Als er die Urkunden vollständig
beisammen hatte, mußte er sich überwinden, zur Feder zu greifen;
gern hätte er die Sache vor der Kammer entwickelt, aber sie
ausarbeiten, ein Werk schreiben, dabei Worte wägen, Sätze
drechseln, das schien ihm nicht nur sehr schwierig, sondern auch
ohne unmittelbaren Nutzen. Der Stil hatte ihn immer in Verlegenheit
gebracht, deshalb schätzte er ihn sehr gering. Er kam nicht über
die zehnte Seite hinaus; doch ließ er die begonnene Arbeit auf
seinem Schreibtische liegen, obgleich er wöchentlich keine zwanzig
Zeilen hinzufügte. Sooft man ihn fragte, was er treibe, setzte er
seinen Plan weitläufig auseinander und erklärte, das Werk werde
sehr umfangreich. Das war die Schutzwand, hinter der er die
schreckliche Leere seiner Tage verbarg.
    Monate verflossen, er lächelte mit heiterer
Gutmütigkeit. Keiner der
Verzweiflungsanfälle, mit denen er zu kämpfen hatte, wurde in
seinem Antlitze sichtbar. Wenn seine Freunde sich ihm gegenüber
beklagten, so bewies er, daß seinem Glück nichts fehle. War er
nicht völlig befriedigt? Er liebte die Studien, arbeitete nach
seinem Belieben – war das nicht der fieberhaften Erregung der
öffentlichen Angelegenheiten vorzuziehen? Wenn der Kaiser ihn nicht
brauchte, tat er wohl daran, ihn ruhig in seinem Winkel zu lassen;
doch redete er auch jetzt vom Kaiser nur in Ausdrücken der tiefsten
Ergebenheit. Oft jedoch erklärte er, daß er bereit sei und nur auf
einen Wink seines Herrn warte, »die Last der Herrschaft« wieder auf
sich zu nehmen. Doch fügte er stets hinzu, er werde durchaus nichts
tun, um diesen Wink herbeizuführen. Wirklich schien es seine
angelegentlichste Sorge, abseits zu bleiben. In der Stille der
ersten Jahre des Kaiserreiches, inmitten dieses seltsamen, aus
Furcht und Müdigkeit sich zusammensetzenden Schlummers vernahm er
ein dumpfes Brausen, das allmählich anwuchs; seine letzte Hoffnung
war eine Katastrophe, die ihn plötzlich nötig machen werde. Er war
der Mann der schwierigen Lagen, »der Mann mit den schweren Tatzen«,
nach dem Ausdrucke des Herrn de Marsy.
    Jeden Sonntag und Donnerstag empfing er seine Getreuen bei sich.
In dem großen roten Salon schwatzte man bis halb elf, dann setzte
er seine Freunde unbarmherzig vor die Tür mit der Begründung, das
lange Wachen verwirre das Gehirn. Um zehn Uhr reichte Frau Rougon
eigenhändig den Tee herum, wobei sie als gute Hausfrau auf die
kleinsten Einzelheiten achtete. Es gab nur zwei Schüsseln mit
Backwerk, die niemand anrührte.
    An dem

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