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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Charbonnel sah ihn bittend an, als wolle sie ihn zum
Schweigen bringen, dann sagte sie lebhaft:
    »Hören Sie, Herr Rougon, versprechen Sie uns nichts! Unser
Unglück würde nur von vorn anfangen … Wenn ich bedenke, daß
wir seit dritthalb Jahren hier sind! Dritthalb Jahre in diesem
Loche – mein Gott! Mein ganzes Leben lang werde ich die Schmerzen
im linken Beine behalten; ich lag nach der Mauerseite, und die
Mauer trieft von Wasser. Nein, ich kann Ihnen nicht alles erzählen,
es würde zu lange dauern! Wir haben ein Heidengeld verbraucht!
Sehen Sie hier, ich habe noch diesen großen Koffer kaufen müssen,
um all den Trödel unterzubringen, dessen wir in Paris bedurften,
und für den man uns die Augen aus dem Kopfe abgefordert hat,
Wäsche, die mir die Wäscherin in Fetzen zurückgab … Nach Ihren
Wäscherinnen werde ich mich nicht
zurücksehnen! Sie verbrennen alles mit ihren Säuren!«
    Damit warf sie einen Ballen Lumpen in den Koffer und schrie:
    »Nein, nein, wir reisen! Sehen Sie, noch eine Stunde hier würde
mich umbringen!«
    Aber Rougon begann hartnäckig wieder von ihrer Angelegenheit zu
reden. Sie hätten also sehr schlechte Nachrichten bekommen? Darauf
berichteten sie ihm fast weinend, daß die Erbschaft von dem Vetter
Chevassu ihnen endgültig zu entgehen drohe. Der Staatsrat sei im
Begriffe, die Schwestern von der heiligen Familie zur Übernahme des
Vermächtnisses von fünfhunderttausend Franken zu ermächtigen. Was
ihnen schließlich alle Hoffnung genommen habe, sei die Nachricht,
daß der Bischof Rochart zum zweiten Male nach Paris gekommen sei,
um die Sache zu betreiben.
    Da stieß Herr Charbonnel in plötzlicher Aufwallung den kleinen
Koffer beiseite und wiederholte händeringend mit gebrochener
Stimme:
    »Fünfhunderttausend Franken! Fünfhunderttausend Franken!«
    Beide waren einer Ohnmacht nahe. Sie setzten sich, er auf den
Koffer, sie auf ein Wäschebündel, das mitten in dem Durcheinander
lag. In langen, bekümmerten Reden begannen sie sich zu beklagen;
wenn der eine schwieg, fing der andere wieder an. Sie erzählten von
ihrer Zärtlichkeit für Chevassu. Wie hatten sie ihn geliebt! In
Wirklichkeit hatten sie ihn siebzehn Jahre vor der Nachricht von
seinem Tode nicht gesehen. In diesem Augenblick jedoch waren sie
von ihrer Zärtlichkeit gegen ihn überzeugt, sie glaubten, ihn
während seiner Krankheit mit Aufmerksamkeiten aller Art umgeben zu
haben. Dann beschuldigten sie die Schwestern von der heiligen Familie schändlicher Umtriebe; sie
hätten sich in das Vertrauen ihres Verwandten eingeschlichen, seine
Freunde von ihm fern gehalten und einen beständigen Druck auf den
geschwächten Willen des Kranken ausgeübt. Die fromme Frau
Charbonnel erzählte sogar eine abscheuliche Geschichte, nach der
ihr Verwandter vor Furcht gestorben sei, nachdem er seinen letzten
Willen unter dem Diktat eines Priesters niedergeschrieben, der ihm
am Fußende des Bettes den Teufel gezeigt hatte.
    Der Bischof von Faverolles, Msgr. Rochart, treibe ein unsauberes
Gewerbe, indem er rechtschaffene, in ganz Plassans geachtete Leute,
die im Ölhandel eine Kleinigkeit erspart hatten, ihres Eigentums
beraube.
    »Aber vielleicht ist noch nicht alles verloren«, sagte Rougon,
als er sie erschöpft sah. Msgr. Rochart ist doch nicht der
Herrgott … Ich habe mich mit Ihnen nicht beschäftigen können.
Ich habe soviel zu tun! Lassen Sie mich sehen, wie die Sache steht.
Man wird uns nicht fressen.«
    Die Charbonnels blickten einander mit leichtem Achselzucken an.
Der Gatte murmelte:
    »Es ist nicht der Mühe wert, Herr Rougon.«
    Als Rougon in sie drang und versicherte, daß er alles aufbieten
werde und nicht verstehe, warum sie so abreisen wollten,
wiederholte die Frau:
    »Ganz gewiß, es lohnt nicht die Mühe. Sie würden sich ganz
umsonst bemühen … Wir haben mit unserem Advokaten über Sie
gesprochen. Er sagte lachend, Sie vermöchten jetzt gar nichts gegen
Monseigneur Rochart.«
    »Wenn man ohnmächtig ist, was wollen Sie?« bemerkte Herr
Charbonnel seinerseits. »Besser nachgeben.«
    Rougon hatte das Haupt geneigt. Die Worte der alten Leute trafen
ihn wie Ohrfeigen. Noch niemals hatte er seine Machtlosigkeit
schwerer empfunden.
    Inzwischen fuhr Frau Charbonnel fort:
    »Wir kehren nach Plassans zurück, das ist viel
vernünftiger … Wir gehen nicht in Groll auseinander, Herr
Rougon. Wenn wir daheim Ihre Mutter, Frau Felicité, sehen, werden
wir ihr sagen, daß Sie sich alle mögliche Mühe für uns

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