Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
schien
gewaltsam die Hände auf dem Rücken ineinanderzulegen, um nicht dem
Triebe nachzugeben, die ganze Gesellschaft hinauszuwerfen.
    »Kinder,« sagte der Oberst eines Abends, »ich komme vierzehn
Tage lang nicht wieder … Man muß es mit dem Schmollen
versuchen. Wir wollen sehen, wie er sich allein unterhält.«
    Rougon hatte schon daran gedacht, seine Tür zu verschließen;
aber jetzt, da man ihn verließ, war er sehr verletzt. Der Oberst
hielt Wort, andere folgten seinem Beispiele, und so war der Salon
fast immer halb leer, fehlten stets fünf, sechs Freunde. Wenn einer
von ihnen wiederkam und der große Mann ihn fragte, ob er krank
gewesen sei, verneinte er mit überraschtem Ausdruck, ohne sich
weiter zu erklären. Eines Donnerstags kam niemand. Rougon
verbrachte den Abend allein damit, daß er in dem weiten Gemach mit
den Händen auf dem Rücken und gesenkten Hauptes auf und ab ging. Zum erstenmal empfand er, wie stark
das Band war, das ihn an seine Freunde fesselte. Er zuckte
verächtlich die Achseln, wenn er an die Dummheit der Charbonnels,
die neidische Wut Du Poizats und die zweideutige Süßlichkeit der
Frau Correur dachte; Aber so gering er diese Vertrauten auch
schätzte, dennoch fühlte er das Bedürfnis, sie zu sehen, über sie
zu herrschen, das Bedürfnis eines eifersüchtigen Gebieters, der im
Geheimen über die geringste Treulosigkeit in Tränen ausbricht. Im
Grunde seines Herzens rührte ihn selbst ihre Dummheit, liebte er
ihre Laster. Sie schienen ein Teil seines Wesens, oder vielmehr, er
fühlte sich langsam aufgesogen, so daß er sich selbst verringert
schien, wenn sie ihn mieden. Er schrieb ihnen also endlich, als sie
länger fortblieben; ja, er besuchte sie sogar, um sie zu versöhnen,
nachdem sie ernstlich geschmollt hatten. Man lebte in dem Hause in
der Marbeufstraße beständig auf dem Kriegsfuß unter jenem
fieberhaften Abbrechen und Wiederanknüpfen der Beziehungen, wie es
bei Eheleuten vorkommt, deren Liebe zu erkalten beginnt.
    Ende Dezember war eine besonders ernste Verstimmung eingetreten.
Eines Abends hatte ohne rechten Grund ein Wort das andere gegeben,
und schließlich hatte einer den andern zähnefletschend angefallen.
Fast drei Wochen lang sah man sich nicht. Der wahre Grund war der,
daß die Schar anfing zu verzweifeln. Die pfiffigsten Bemühungen
führten zu keinem greifbaren Erfolge. Die Lage schien sich noch
lange nicht ändern zu wollen, und so mußte die Schar dem Traum von
einer unvorhergesehenen Katastrophe, die Rougon zum Mann der
Notwendigkeit machen könne, entsagen. Sie hatte die Wiedereröffnung
des gesetzgebenden Körpers abgewartet; aber die Prüfung der
Wahlvollmachten hatte kein anderes Ergebnis gehabt, als daß zwei
republikanische Abgeordnete die Eidesleistung verweigerten.
Nunmehr glaubte auch Herr Kahn, dieses
geschmeidige und tiefblickende Mitglied der Gruppe, nicht mehr
daran, daß die allgemeine Politik noch eine ihnen günstige Wendung
nehmen werde. Rougon warf sich ganz außer sich mit verdoppeltem
Eifer auf seinen Plan der Urbarmachung der Heide, wie um das Zucken
seines Gesichtes zu verbergen, das nicht mehr enden wollte.
    »Ich fühle mich nicht wohl«, sagte er öfter. »Sie sehen, meine
Hände zittern … Mein Arzt hat mir Bewegung verordnet. Ich bin
den ganzen Tag im Freien.«
    Wirklich ging er viel aus. Man begegnete ihm oft, die Hände
schlenkernd, den Kopf erhoben, zerstreut blickend, und wenn man ihn
anhielt, erzählte er von endlosen Gängen. Als er eines Morgens von
einem Spaziergange nach Chaillot heimkehrte, um zu frühstücken,
fand er eine Visitenkarte mit vergoldetem Rande, auf welcher der
Name 
Gilquin
, in schöner, englischer Schrift zwischen
Spuren von Fettfingern und anderem Schmutz prangte. Er klingelte
dem Diener und fragte:
    »Der Überbringer dieser Karte hat nichts gesagt?«
    Der Diener, der noch nicht lange im Hause war, lächelte.
    »Es war ein Herr in grünem Überrock. Er war sehr liebenswürdig
und hat mir eine Zigarre angeboten … Er hat nur gesagt, er sei
ein Freund des Herrn des Hauses.«
    Als der Diener das Gemach verließ, fiel ihm noch etwas ein.
    »Ich glaube, es ist auf der Rückseite etwas geschrieben.«
    Rougon drehte die Karte um und las die mit Bleistift
gekritzelten Worte: »Kann unmöglich warten. Komme Abend wieder.
Sehr dringend, komische Geschichte.«
    Rougon machte eine gleichgültige Gebärde. Nach dem Frühstück
fielen ihm jedoch die Worte »sehr dringend, komische Geschichte«
wieder ein;

Weitere Kostenlose Bücher