Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
drei
Teile gegliedert werden kann. Im ersten Teil gibt Boffo die Namen der mutmaßlich
Verantwortlichen preis. Im zweiten Teil nennt er die Beweggründe, die zur
Hetzkampagne gegen ihn geführt haben, und im dritten Teil sucht er nach einem
Ausweg, zumal er noch keine neue Anstellung gefunden hat.
Hochwürdigster
Herr,
vermutlich
wissen Sie, was mir seit Ende August bis heute widerfahren ist, beginnend mit
meinem Rückzug von der Leitung des Avvenire und den anderen CEI-Medien, zu
dem mich eine Verleumdungskampagne gezwungen hat, bis hin zur Rücknahme dieser
Anschuldigungen durch denjenigen, der sie vor allem verbreitet hat: den
Chefredakteur des Il Giornale, Dottor Vittorio Feltri. Das Dementi erfolgte
exakt drei Monate nach meinem Rücktritt, am 4. Dezember 2009. Ebendieses Dementi
ist auch der Anlass dafür, die Umstände zu erörtern, die zu diesem Brief
geführt haben. Wenngleich es von den Medien bei Weitem nicht so stark
aufgegriffen wurde wie mein Abgang, hat es mich in die Lage versetzt, mit einer
Welt in Berührung zu kommen, die mir bis dahin unbekannt war. Durch die
informellen Kontakte, die der Entscheidung von Dottor Feltri zum Widerruf
vorausgingen und die in einem Treffen meines Anwalts mit dem Chefredakteur des Giornale gipfelten, um ihm Einsicht in alle den von ihm kolportierten Fall
betreffenden Dokumente zu gewähren, vor allem aber durch die sich seither
ergebenden Kontakte bin ich verschiedenen Vertretern besagter Tageszeitung
begegnet, und ich erlangte Kenntnis von einer wichtigen Hintergrundinformation:
Es war Professor Gian Maria Vian, der Chefredakteur des Osservatore
Romano, der Feltri das
gefälschte Dokument zu meinem Schaden zugespielt hat. Dieser hat nicht nur
definitiv den Text des anonymen Briefs Anfang Mai des vergangenen Jahres in
Kreisen der Katholischen Universität und der römischen Kurie in Umlauf
gebracht, mit dem Ziel, meine Bestätigung im Kontrollorgan dieser Universität,
dem Comitato Toniolo, zu verhindern. Er hat auch den Eindruck erweckt, als ob
die Gerichtssache, die den Anstoß für den Brief gab, einen gesicherten Fall von
Homosexualität betreffe, in dem ich der Hauptakteur sei – als Homosexueller,
der, diesem widerwärtigen Gerede zufolge, in verschiedensten Kreisen bekannt
sei, angefangen im klerikalen Milieu, von dem ich schuldbewusst gedeckt worden
sei, um mein heikles Amt als Chefredakteur von Presseorganen, die der
Italienischen Bischofskonferenz unterstehen, weiterhin unbehelligt ausüben zu
können.
Boffo beschuldigt also unverhohlen den Chefredakteur des Osservatore Romano : Vian habe das anonyme Schreiben
»definitiv« weitergeleitet, das die Hetzkampagne im Il
Giornale ausgelöst habe und durch das der Eindruck entstanden sei, das
Gerichtsurteil zeuge von Boffos Homosexualität. Vian selbst hingegen hüllt sich
in Schweigen; nicht ein einziges Mal bezieht er Stellung. Er weiß, dass das
Staatssekretariat den Vorwürfen nicht glaubt. Vor allem aber weiß er, dass ihn
der Apostolische Palast immer verteidigen wird.
Es ist eine schwerwiegende Anschuldigung, die Boffo dem Heiligen
Vater offenbart, indem er mit dem Zeigefinger auf den Chef des Amtsblatts des
Heiligen Stuhls deutet, den der Papst höchstpersönlich im Oktober 2007
ernannt hat. Denn Benedikt XVI. war es, der Gian
Maria Vian an der Spitze des Osservatore Romano sehen
wollte. Ausgesprochen herzlich war denn auch sein Ernennungsschreiben, in dem
er – »mit großer Wertschätzung und ehrlicher Zuneigung« – seiner
Überzeugung Ausdruck verlieh, dass »die profunde kulturelle Bildung als
Historiker des Christentums […] und die Zugehörigkeit zu einer angesehenen, im
treuen Dienst für den Heiligen Stuhl stehenden und der christlichen Tradition
besonders verpflichteten Familie eine sichere Garantie für die heikle Aufgabe
darstellen, die Ihnen anvertraut wird«. Boffo muss bewusst sein, dass die
Vorwürfe, die er gegen einen der engsten Mitarbeiter des Papstes richtet, gravierend,
ja ungeheuerlich sind. Doch sein Entschluss steht fest:
Selbstverständlich,
Monsignore, entgeht mir weder, wie schwerwiegend diese Enthüllung ist, noch
könnte ich mich, der die Folgen der Verleumdung zu tragen hat, je selbst zu
etwas Derartigem hinreißen lassen. Ich habe mich entschlossen zu sprechen,
heute an hoher und vertraulicher Stelle zu sprechen, weil ich nicht schweigen
kann über das, was ich in Erfahrung gebracht habe und was die Aufgaben des
Heiligen Stuhls so unmittelbar
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