Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Schmutzkampagne zu distanzieren und – das ist eine Tatsache – Feltri zu
verpflichten, die Boffo zugefügte Schande wiedergutzumachen.
Sie sehen,
Monsignore, es ist eine seltsame Sache mit den Journalisten: Manchmal setzen sie
Nachrichten in die Welt, die jeder sicheren Grundlage entbehren, ein anderes
Mal sammeln sie Bruchstücke und lassen sie in ihren Dossiers reifen, bis die
Dinge von allein ihren Lauf nehmen. So ist mir etwa bekannt, zumal ich mich
darüber mit Kollegen unterhalten habe, dass einige von ihnen Äußerungen notiert
haben, die Vian während jener polemischen Auseinandersetzung gemacht hat, etwa
als er vom »Mut« sprach, den Feltri mit seinem Artikel »bewiesen« habe. Und ich
weiß auch von einem Satz, der Feltri in der Redaktion herausgerutscht ist: »Ah,
Vian, in diesen Tagen ist es besser, seinen Namen nicht direkt zu nennen.« Im
engeren Umfeld des Giornale wird heute darüber gespottet,
dass sich der Chefredakteur des Osservatore Romano einem skrupellosen Mann wie Feltri
ausgeliefert hat …
Darüber hinaus
sind mir auch die Indiskretionen bekannt, die Sandro Magister im Oktober in
seinem Blog veröffentlicht hat. Dort bezichtigt er Vian ausdrücklich, Autor
eines gewissen Artikels zu sein, in dem die Verleumdungskampagne gerechtfertigt
wird. Er ist im Giornale unter dem Pseudonym Diana Alfieri
erschienen. Ich versichere Ihnen, dass Vians Replik auf diese Indiskretion
derart gewunden ausfiel, dass sie unter Eingeweihten eher Zweifel weckte als
ausräumte. Und dennoch war ich bis zu diesem Zeitpunkt überzeugt, dass wir uns
auf der Ebene von Mutmaßungen und Verdächtigungen bewegten. Heute hingegen sehe
ich mich objektiv nicht mehr in der Lage, den von so vielen Seiten bestätigten
Tatbestand zu ignorieren, dass Vian der Drahtzieher der Affäre ist.
Ist es möglich, dass Vian, der sich sonst mit Begeisterung
in die Recherche stürzte, hier zum Giftmischer wurde? Nachdem Boffo den Stab
über ihn gebrochen hat – in seinen Kontakten zu Journalisten sei Vian »gar zu
sehr daran gewöhnt, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen« –, geht er der
Sache weiter auf den Grund. Er spricht ein Thema an, das abgesehen vom
aktuellen Streitfall von höchstem Interesse ist: das Verhältnis von Kirche und
Politik. Boffo zufolge lehnt Vian jede Einflussnahme der katholischen Kirche
auf politische Interessen und Entscheidungen ab, während Boffo selbst der
Ansicht ist, dass die Politik »gezwungen« werden müsse, die »Positionen der
Kirche zu berücksichtigen«.
Beim »Fall Boffo« seien verschiedene Interessen zusammengekommen. Es
sei demnach nicht nur um das vordergründige Ziel gegangen, das Bindeglied für
eine Kontinuität zwischen Ruini und Bagnasco zu zerschlagen. Letztlich handele
es sich um einen Konflikt im Verhältnis zwischen der italienischen Regierung
und der Bischofskonferenz:
Wenn auch
kein Zweifel daran besteht, weshalb Feltri die eigene Kampagne mehrfach
»gerechtfertigt« hat und jene bloßstellte, die es wagten, das private Verhalten
Berlusconis zu kritisieren, so werden die Motive, die Herrn Professor Vian dazu
veranlasst haben, in der hier dargelegten Weise zu handeln, in keinem Dokument
wirklich deutlich. Doch abgesehen davon, dass er in seinen Kontakten zu
Journalisten gar zu sehr daran gewöhnt ist, sich zu weit aus dem Fenster zu
lehnen, kann ich mich hier auf einige Äußerungen stützen, die von Vian
persönlich stammen. Ich meine seine Einwände bezüglich meiner Auffassung von
der Rolle des CEI-Organs [Avvenire], die darin wurzelt, dass ich der
italienischen Kirche eine öffentliche Stimme geben möchte, die so timbriert
ist, dass sie die Politik dazu zwingt, die Positionen der Kirche zu
berücksichtigen. Der Fall der armen Eluana [7] war in diesem Zusammenhang von
geradezu symbolhafter Bedeutung für die Kritiker des Avvenire. Denn man durfte nur dann hoffen, den Einfluss der Kirche auf die
Politik begrenzen zu können und ihn im Kontext neuer Zukunftsszenarien
flexibler und passender zu gestalten, wenn man die Chefredaktion umging. Und
genau hier zeigt sich jene Unbedarftheit, die das Vorgehen des Osservatore- Chefs kennzeichnet. Aber diese
Diskussion geht mich eigentlich nichts an.
Das Bild, das Boffo hier zeichnet, ist durchaus
beunruhigend. Noch dazu, weil sich der ehemalige Chefredakteur veranlasst
sieht, mit einigen sibyllinischen Sätzen zu schließen: mit Fragen, die in der
Schwebe bleiben. Nachdem Boffo die Hauptverantwortlichen und die
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