Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Verbindung zum Heiligen Stuhl.
In Boffos Interview mit dem Corriere della Sera findet sich auch nicht die leiseste Anspielung auf die Geschichte, über die er
stolperte. Dabei hatte die von Vittorio Feltri geleitete Zeitung Il Giornale im August 2009 die Nachricht von
einer Verurteilung Boffos wegen Belästigung eines Dritten aus dem Jahr 2004
mit Riesenlettern gebracht – einschließlich eines inzwischen rechtskräftigen
Strafbefehls, unterschrieben vom Ermittlungsrichter in Terni. In dem Artikel
war neben dem Urteil auch eine Art Amtsvermerk zitiert, in dem Boffo als
»notorischer Homosexueller« dargestellt wurde, »auf den die Staatspolizei wegen
seines Verkehrs in einschlägigen Kreisen bereits aufmerksam geworden« sei. [2] Die Nachricht verbreitete sich in jenen Spätsommertagen wie ein
Lauffeuer. Bald jedoch wurde deutlich, dass der »Fall« eigentlich ganz anders
gelagert war. Die reißerische Meldung war eine Zeitungsente. Der authentische
belastende Vermerk und das ebenfalls tatsächlich existierende Urteil, über das
die Presse bereits berichtet hatte, waren bewusst in einen falschen
Zusammenhang gestellt worden. [3]
Das Ziel desjenigen, der die Schriftstücke dem Giornale zugespielt hatte, liegt auf der Hand: Es war ein Angriff auf Bagnasco und
seinen Vorgänger im Vorsitz der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal
Camillo Ruini. Sie waren es letztlich, die moralisch an den Pranger gestellt
werden sollten. Die Strategie, die diese Kampagne verfolgte, war logisch und
schlicht. Obwohl ihnen Boffo bekannt gewesen sei, hätten Bagnasco und Ruini der
Kirche nicht den Skandal erspart, einen wegen Belästigung rechtskräftig
verurteilten Homosexuellen an der Spitze eines strategisch wichtigen
Presseorgans wie der Tageszeitung Avvenire zu halten.
Tage, ja Wochen gingen ins Land, bis sich die Wahrheit endlich durchsetzte und
die Angelegenheit im rechten Licht erschien.
Ein Teil der italienischen Presse hielt Vittorio Feltri für den
eigentlichen Drahtzieher. Seither spricht man von der »Methode Boffo«, wenn es
gewissen rechtsorientierten Medien nicht mehr um Informationsvermittlung zu
gehen scheint, sondern darum, einen Journalisten zu attackieren und zu
vernichten, weil er sich gerade auf Kollisionskurs mit einem Spitzenpolitiker
befindet – etwa Berlusconi. Auf den ersten Blick scheint die Darstellung
plausibel. Bleibt die Tatsache, dass die Nachricht zur einen Hälfte falsch, zur
anderen bereits bekannt war. Und da ist das mutmaßliche Motiv: Boffo hatte in
den zurückliegenden Monaten im Avvenire offen die
moralische Verkommenheit Berlusconis kritisiert. [4] Die
Schlussfolgerung scheint auf der Hand zu liegen: Man nimmt die Gegner unter
Beschuss, indem man bereits veröffentlichte Meldungen mit kolossalen Lügen
vermengt. Kurz gesagt spricht aus gewissen Artikeln die Intention, den Feind
einzuschüchtern: Wer es wagt, den Boss zu kritisieren, wird diffamiert – wie
Boffo. Es sollte ein warnendes Beispiel für alle sein.
Wer aber findet den größten Gefallen an dieser Geschichte: die
Skandalpresse, die Fachleute oder das große Publikum? Das ist nicht leicht zu
beantworten. Sicher ist, dass der wichtigste Punkt, die Frage nämlich, wie
eigentlich alles begann, unbeantwortet bleibt. Denn selbst wenn man Feltri eine
tragende Rolle zuspricht, so wird das Knäuel kaum entwirrt: Wer genau betätigte
sich als Giftmischer? Wer hat die Falschmeldung konstruiert, die Boffo zum
Rücktritt zwang? Wer hat sie Il Giornale zugespielt und warum?
In der Berichterstattung folgen Indiskretionen, Halbwahrheiten
werden ohne offizielle Bestätigung verbreitet: ein Telefongespräch zwischen
Bertone und Feltri, ein anonymer Artikel im Il Giornale ,
der angeblich von Giovanni Maria Vian stammt, dem Chefredakteur des Osservatore Romano , Mutmaßungen über eine Beteiligung des
vatikanischen Sicherheitsdienstes. Vian reagiert im Übrigen empört und
bezeichnet die Indiskretionen als »fanta-vaticano«, als vatikanische
Phantastereien.
Nur wenige Fakten sind gesichert. Das Schriftstück des
Gerichtsbeschlusses trägt einen eindeutigen Titel (»Antwort auf eine
Informationsanfrage Seiner Exzellenz«) und wurde wenige Monate vor der
Veröffentlichung zahlreichen Bischöfen in Italien zugestellt. Vor allem
zirkulierte es unter Mitgliedern des Istituto Toniolo, des finanziellen Trägers
der Katholischen Universität, in dessen Ständigem Ausschuss Boffo tätig ist.
Doch wer ist der Absender gewesen? Ein Rätsel. Am
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