Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Nebenfiguren
der Intrige aufgezählt hat, verspricht er, über die Angelegenheit absolutes
Stillschweigen zu bewahren. Gleichwohl warnt er den Sekretär des Papstes vor
der drohenden Gefahr, dass auch andere hinter die Wahrheit kommen könnten,
nicht zuletzt weil »die Hintergründe der Geschichte trotz eventuell gegebener
Versprechen jederzeit an die Presse gelangen könnten«:
Aber ich
frage mich, was jetzt zu tun ist. Monsignore, ich versichere Ihnen, dass ich
keinen Finger rühren werde, um diese Darlegung der Fakten an die Öffentlichkeit
zu bringen: Die höheren Interessen der Kirche sind der Kompass meines Handelns.
Ich habe zwar meine Arbeit verloren, eine Arbeit, an die ich sehr geglaubt
habe. Dennoch hege ich keine Rachegelüste. Allerdings steht fest, dass die
tatsächlichen Ereignisse für Il Giornale heute kein Geheimnis mehr sind
und dass die Hintergründe der Geschichte trotz eventuell gegebener Versprechen
jederzeit an die Presse gelangen könnten. Es mangelt nicht an Leuten, die sich
bereits darangemacht haben, mit eigenen Mitteln die Wahrheit ans Licht zu
bringen. Daher, Monsignore, halte ich es für angebracht, Sie darüber in
Kenntnis zu setzen, was ich in Erfahrung gebracht habe, und Sie in gewisser
Weise auch vor einem Szenario zu warnen, das sich innerhalb kurzer Zeit
abzeichnen könnte.
Selbstverständlich
stehe ich über das hier Dargelegte hinaus zur Verfügung.
Damit bitte ich
Sie, Monsignore, mir die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen bereite,
nachzusehen, und verbleibe als der Ihre, Dino Boffo.
Boffo und das Schandmal Homosexualität
Georg Gänswein hat den Brief erhalten, und es ist
anzunehmen, dass er darüber mit dem Papst gesprochen hat – immerhin fallen
bei Boffo die Namen von zwei der engsten Mitarbeiter Benedikts XVI. Dafür gibt es jedoch keinen Beweis. Sicher
ist, dass sich der Privatsekretär einige Tage später, am 11. Januar 2010,
zu einer Antwort entschließt – allerdings nicht in Form eines Briefes, da er
dem Dialog auf diese Weise einen allzu offiziellen Charakter verleihen würde,
sondern mündlich. Gänswein ruft Boffo persönlich an, versichert ihn seines
»priesterlichen Beistands« und will mehr über die Sache wissen. Der Ton der
Unterhaltung muss diplomatisch, aber auch recht sachlich gewesen sein, zumal
der Deutsche einen eher direkten Kommunikationsstil pflegt. So kommt Gänswein
bei dieser Gelegenheit unverblümt auf die Gerüchte um Boffos Homosexualität zu
sprechen, wie aus einem Schreiben hervorgeht, das der ehemalige Chefredakteur
des Avvenire tags darauf abschickte. Am 12. Januar
ging ein zweiter Brief bei Ratzingers Sekretär ein. Im Begleitschreiben heißt
es: »Ich klopfe ein zweites Mal an und bitte um Entschuldigung. Ich rechne
damit, Sie nicht noch einmal belästigen zu müssen. In ergebenster und
dankbarster Hochachtung, Ihr Dino Boffo«:
Hochwürdigster
Herr,
vor allem
möchte ich Ihnen aufrichtig für Ihren priesterlichen Beistand und die Offenheit
danken, die Sie mir gestern, am 11. Januar 2010, in unserem Telefongespräch
entgegengebracht haben. Gott weiß, wie leid es mir tut, Ihnen so großes
Ungemach zu bereiten. […] Wir sprachen von jenem Gerücht, das, wenn ich richtig
verstanden habe, bereits in einigen vatikanischen Behörden die Runde machte,
und ich habe Ihnen vertraulich von einer einzigen Spur berichtet. Sie lässt auf
eine Verbindung schließen, die über Monsignor Angelo Pirovano
[Referatsleiter im Staatssekretariat] zustande gekommen ist. Nachdem wir unser
Telefongespräch beendet hatten, ist mir noch etwas eingefallen, und es tut mir
leid, dass ich nicht gleich daran gedacht habe. Bereits im Jahr 2000 oder 2001 ist mir nämlich zu Ohren
gekommen, dass ein gewisser Monsignor Pio Pinto nicht sonderlich gut von
mir sprach. Pinto arbeitete damals, wenn ich mich nicht irre, bei der Römischen
Rota [dem Appellationsgerichtshof der katholischen Kirche]. Ich lernte ihn
kennen, als ich in jenem Jahr ein Apartment bewohnte, das mir freundlicherweise
im Dachgeschoss des Palazzo di Propaganda Fide an der Piazza di Spagna zur Verfügung
gestellt worden war. Pinto, ein merkwürdiger, etwas schwärmerisch veranlagter
Mann, hatte seine Wohnung im selben Haus. Ab und zu begegneten wir uns,
wechselten ein, zwei Worte und nahmen uns vor, irgendwann einmal abends essen
zu gehen. Allerdings habe ich das nicht weiterverfolgt, zumal mich der
Kurientratsch nie besonders interessiert hat. Ich sage: ein merkwürdiger Mann,
weil
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