Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Tv2000 bestellt. Er übernimmt also eine Funktion, wie er
sie bereits vor Feltris Anschuldigungen ausgeübt hat. Unklar bleibt hingegen,
ob es, wie mehrere Quellen versichern, zu einer persönlichen Begegnung zwischen
Ratzinger und dem ehemaligen Chefredakteur des Avvenire gekommen ist, bei der sich der Papst für Boffos Stillschweigen bedankt haben
könnte.
Mit Sicherheit verdienen die Geschehnisse eine genauere Betrachtung.
Tatsächlich hat Benedikt XVI. eine
geheime Untersuchung der heftigen Vorwürfe angeordnet, die der ehemalige Avvenire -Chef gegen zwei seiner engsten Mitarbeiter
vorgebracht hat: Giovanni Maria Vian und Staatssekretär Tarcisio Bertone. Die
Ergebnisse dieser internen Ermittlung, mit der aller Wahrscheinlichkeit nach
Gänswein beauftragt wurde, sind uns zwar nicht bekannt. Wir kennen aber die
Abfolge der unglaublichen Ereignisse: Erst wurde Boffo mittels einer
Medienkampagne, die größtenteils auf gefälschten Belegen basierte, mundtot
gemacht. Daraufhin trug Boffo schwerwiegende Vorwürfe gegen die engsten
Mitarbeiter Benedikts XVI. zusammen, um sie
schließlich dem Privatsekretär des Papstes zu übermitteln.
Was geschieht jetzt? In einem normalen Land gäbe es genau zwei
Möglichkeiten: Wenn Boffo die Wahrheit gesagt hätte, so wären Maßnahmen gegen
Kardinal Bertone und Vian eingeleitet worden; hätte Boffo (der noch acht Monate
später seine Anschuldigungen gegen die beiden Männer schriftlich wiederholte)
etwas Falsches behauptet, so hätte man ihm gewiss keinen verantwortungsvollen
Posten übertragen, sondern ihn fallen lassen, weil er es gewagt hatte, einen
Schatten auf die engsten Mitarbeiter des Papstes zu werfen. Darüber hinaus ist
er kein Kleriker, sondern ein Laie. Und als solcher darf er nicht im Mindesten
jenen Schutz erwarten, wie ihn jeder im Vatikan genießt, der einen Talar trägt.
Stattdessen wird Boffo in aufsehenerregender Weise aufgewertet,
wiederaufgenommen, reintegriert, neu angestellt. Vian, der mutmaßliche
»Giftmischer«, bleibt auf seinem Posten, der strategisch wichtigen Leitung der
Tageszeitung des Heiligen Stuhls. Und Gleiches gilt für Kardinal Bertone, die
Nummer zwei im Vatikan.
Um korrekt zu handeln, entschließe ich mich, Boffo zu informieren.
Es ist ein schwieriges Treffen, das mir jedoch wichtig ist. Ich muss Boffo
sagen, dass ich seine Briefe kenne. Ich wäge meine Worte ab, rede mit Bedacht.
Er zuckt merklich zusammen, seine Augen beginnen zu glänzen, er verstummt. »Ich
habe sie niemandem zu lesen gegeben, wie konnten sie in deine Hände gelangen?«
Er weiß nichts von der Gruppe um »Maria«, meinen Hauptinformanten im Vatikan.
Und er fügt noch eine Bemerkung hinzu, die mir seitdem im Kopf herumschwirrt.
Er sagt, dass ich mir Sorgen machen müsste, wenn ich diese Briefe gelesen
hätte. Ich nehme ihn ernst. Er muss überzeugt davon sein, dass die
Veröffentlichung dieser Briefe einen Erdrutsch im Vatikan auslösen wird. Es ist
das erste Mal, dass eine Verschwörung, in die auch die italienische Politik
verwickelt ist, aufgedeckt wird. Seit diesem Tag schaue ich, wenn ich abends in
Rom nach Hause komme, immer zuerst nach, ob die unauffälligen Zeichen, die ich
zum Schutz gegen Eindringlinge platziert habe, von irgendwem verändert worden
sind. Dies auch deshalb, weil es im Vatikan Leute gibt, die sich als Opfer
einer ganz ähnlichen Verschwörung betrachten, mit einer auffälligen
Übereinstimmung hinsichtlich der Haupt- und Nebenfiguren. Auch hier ist es vor
allem Kardinal Bertone, der im Verdacht steht, der Täter zu sein.
Korruption in den heiligen Hallen
Bertone entlässt den Prälaten, der im Vatikan Ordnung schaffen soll
Das entscheidende Treffen zwischen Kardinal Tarcisio
Bertone und Carlo Maria Viganò findet am Dienstag, dem 22. März 2011,
statt. Viganò, ein lombardischer Prälat mit brüskem Charakter und einer
direkten Art, tritt für Strenge und Transparenz ein und hat in der
Vergangenheit in der vatikanischen Diplomatie gedient. [1] Im Juli 2009
hat ihn Benedikt XVI. zum Generalsekretär des
Governatorats gekürt, jener Behörde, die sämtliche Anschaffungen (von Benzin
bis zu Lebensmitteln), die Auftragsvergabe und die kostspieligen Umbauarbeiten
des Vatikans verwaltet.
Viganò ist besorgt. Aus drei Gründen befürchtet er, dass die
Begegnung unangenehm wird: Erstens rechnet er vor allem damit, dass er sich
beim Ordnen der Finanzen und bei den Ausgaben einer Behörde, die für die
Wirtschaft des Vatikans zentral ist,
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