Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
nachdem Monti ihn darum gebeten hatte, sich als Minister zur
Verfügung zu stellen. Er wandte sich an den Privatsekretär Benedikts XVI., um die Ansicht des Papstes einzuholen.
»Nulla quaestio« , kein Problem, lautete die Antwort.
Auch weil man so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, wie in den
Korridoren des Vatikans gemunkelt wird: einen Minister des Vertrauens und eine
Vakanz des angesehenen Postens des Rektors der Katholischen Universität. Doch
Ornaghi ließ sich nicht beirren und behielt monatelang beide Ämter. Riccardi
ist als Minister für internationale Zusammenarbeit ein weiterer sehr verlässlicher
Bezugspunkt. Die von ihm gegründete Gemeinschaft verfügt über ein Netzwerk
internationaler Beziehungen. Monti selbst hat zwar keine besonderen Beziehungen
zum Vatikanpalast, kann aber auf den stellvertretenden Generalsekretär Federico
Toniato zählen, der in der Lage ist, sich ohne Vorzimmer oder Mittelsmänner an
Kardinal Bertone zu wenden und sich mit ihm auszutauschen.
Der Antritt von Montis Mannschaft verändert das Klima in den
Beziehungen zwischen beiden Staaten. Das spiegelt sich in den Entscheidungen
von Prälaten, Bischöfen und Kardinälen wider. Die vom Regierungssitz Palazzo
Chigi und von Vertretern der Mitte-rechts-Parteien stammende Dokumentation zur
Stützung der These, Silvio Berlusconi habe seit 1994 unter einer
regelrechten Verfolgung seitens der Justiz gelitten, wird praktisch ad acta
gelegt – eine außerordentliche Dokumentation, die sich in den privaten Papieren
Benedikts XVI. findet und ein Licht auf die
wesentlichen Momente wirft, die zur Krise der Regierung Berlusconi geführt
haben.
Im Winter 2010, als der Skandal um die Nordafrikanerin »Ruby«
Karima El Mahroug, die noch minderjährig an den nächtlichen Partys in
Berlusconis Residenzen teilgenommen hat, hohe Wellen schlägt, erreicht ein
nicht unterschriebenes Dokument den Apostolischen Palast. Die Katholiken waren
zunehmend gespalten angesichts der Taktik des absoluten Stillschweigens, die
der Vatikan in dieser Angelegenheit verfolgte. Die einen kritisierten das
Zögern und das verlegene Schweigen der anderen Tiberseite, das Ausbleiben einer
öffentlichen Verurteilung des unsittlichen Gebarens des Regierungschefs, [4] die anderen fanden, die Kirche brauche zu den Vorfällen nicht Stellung zu
beziehen.
Das in mehrere Absätze gegliederte Dokument beginnt mit Ausführungen
zur italienischen Justiz, deren Richter und Staatsanwälte scharf kritisiert
werden, da sie in freier »Willkür« und »Unverantwortlichkeit« agiert hätten.
Als Beleg wird jene Geschichte angeführt, bei der die Kirche schon immer
äußerst empfindlich reagiert hat: der Fall Eluana Englaros, einer jungen Frau
aus der Lombardei, die man nach 17 Jahren im Wachkoma, nach endlosem Gezerre und
kontroversen Gerichtsurteilen durch Abbruch der künstlichen Ernährung hatte
sterben lassen:
Die
Verzerrung in der Anwendung mancher abstrakter Prinzipien, die zunehmende
Deformierung der Maßstäbe der Strafprozessordnung, das Fehlen einer strikten
Regelung zur Sanktionierung von Amtsmissbrauch und die Aushöhlung der Garantien
haben aus den Staatsanwaltschaften eine Art Staat im Staate gemacht. […] Die absolute
Unangemessenheit der Disziplinarordnung und die Abwege des
Selbstverwaltungsorgans der Richterschaft haben zu einer zunehmenden Schwächung
des Systems der Sicherheiten zum Schutz der Beschuldigten geführt. […] Mit dem
anmaßenden, eigenmächtigen Vorgehen einer »kreativen Rechtsprechung« (der Fall
Eluana Englaro liefert hierfür ein eklatantes Beispiel) – d. h. der Praxis der »Rechtsetzung
durch Rechtsprechung« bei angeblichen Gesetzeslücken oder gar angesichts von
Gesetzen, die dem Richterkollegium nicht genehm sind – wurde auch die Bindung
zwischen der Praxis der Rechtsprechung und dem staatlichen Gesetz aufgekündigt.
Diese Vorbemerkung dient als Überleitung zum »Fall
Berlusconi«, der von »politisierten Richtern und Staatsanwälten« geprägt sei.
Der damalige Ministerpräsident sei das Opfer einer »Attacke der Justiz, die
sich in 105 Ermittlungsverfahren,
28 Prozessen und 2560 Verhandlungstagen
artikuliert, ohne dass es je zu einer Verurteilung gekommen wäre: 5 Prozesse
sind noch anhängig, die anderen endeten mit 10 Freisprüchen und 13 Einstellungen
des Verfahrens«. Dann geht der Brief zur Ruby-Affäre über – mit einer
Botschaft, die nicht einmal besonders verschleiert ist. Man solle sich
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