Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
wird bezeugt durch eine wachsende Zahl von Begegnungen,
Gesprächen und Botschaften an Napolitano nach dem ersten offiziellen Besuch im
November 2006,
wenige Monate nach seiner Vereidigung. Im April 2008 beschenkt Napolitano
Benedikt XVI. mit einem Konzert anlässlich des
dritten Jahrestags seines Pontifikats. Drei Monate später erfolgt die
Ankündigung, dass der Papst im Oktober den Staatspräsidenten in seinem
Amtssitz, dem Quirinalspalast, besuchen wird [6] – ein Traditionsbruch.
Anfang Dezember begibt sich Napolitano seinerseits in den kleinen Staat, um an
der Feier zum 60-jährigen
Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte teilzunehmen. Es vergehen
kaum ein paar Wochen, und schon machen Diplomatie und Protokoll sich Anfang 2009
ans Werk. Unter strengster Geheimhaltung gilt es, eine Besprechung
vorzubereiten, von der bis heute niemand erfahren hat, für die wir aber Belege
haben: ein privates Abendessen des Ehepaars Napolitano mit Benedikt XVI. am 19. Januar 2009 im
Vatikan.
Aus den Vorbereitungen in den heiligen Hallen geht hervor, was für
eine Bedeutung dem Verhältnis zum Staatspräsidenten beigemessen wird. Der
Geistliche, der die Vorarbeiten für das Treffen leistet, ist die Nummer drei im
Staatssekretariat, einer der engsten Mitarbeiter von Kardinal Bertone:
Erzbischof Dominique Mamberti, der Außenminister des Heiligen Stuhls. Zusammen
mit dem Nuntiaturrat Antonio Filipazzi [7] legt Mamberti die zu
besprechenden und dem Papst vorzuschlagenden Themen fest. Filipazzi ist
Fachmann für italienische Angelegenheiten, mit denen er sich seit 2002
befasst: »Wenn Wojtyła oder Ratzinger oder auch der Staatssekretär [den
vorherigen Staatspräsidenten] Ciampi oder Napolitano treffen sollten«, erklärt
er heute, »bereitete mein Büro Berichte vor, um den Heiligen Vater oder den
Staatssekretär für die Besprechung mit den für uns bedeutsamsten Themen zu
versorgen.« [8]
Es wird ein ausführliches Konzept vorbereitet, ein Dokument, das die
»moral suasion«gut zum Ausdruck bringt. [9] So beginnt das Briefing für das Abendessen am 19. Januar mit einer Kurzbiografie.
Nach den Etappen der politischen Laufbahn von Staatspräsident Napolitano [10] werden im zweiten Teil die Themen aufgeführt, die schon im Titel als »für
den Heiligen Stuhl und die Kirche in Italien von Interesse« bezeichnet werden.
Der Ton ist direkt, die Hinweise sind klar, wie im Programm einer politischen
Partei. Das erste unterstrichene Thema ist der Wert und die zentrale Bedeutung
der Familie:
Der in Art. 29
der Verfassung besiegelte favor
familiae [Begünstigung für
Ehepaare] ist voll umzusetzen, auch um dem zunehmend besorgniserregenden
demografischen Rückgang entgegenzutreten. In dieser Hinsicht könnten nützlich
sein: ein System zur Besteuerung des Familieneinkommens, das neben der Höhe des
bezogenen Einkommens auch die Anzahl der Familienmitglieder und damit die
Ausgaben für den Lebensunterhalt der Familienangehörigen berücksichtigt; die
Planung von Hilfen zur Förderung der Geburtenrate, ohne es bei Einmalzahlungen
zu belassen; Maßnahmen zur Förderung von Leistungen zugunsten der Kleinkinder.
Gleichzeitig
sind gesetzliche oder verwaltungsrechtliche Gleichstellungen zwischen Familien,
die auf der Ehe beruhen, und anderen Formen der Lebensgemeinschaft zu
vermeiden. Zwei Vertreter der Regierung (Brunetta und Rotondi) haben leider
Ankündigungen in diese Richtung gemacht.
Eine treffende Zusammenfassung der Leitlinien, die die
Kirche zum Thema der Familien- und der Sozial- und Bevölkerungspolitik
empfehlen möchte, ohne die Sorge um die – »leider« – von zwei Ministern der
Regierung Berlusconi in Aussicht gestellten Öffnung für eheähnliche
Lebensgemeinschaften zu verhehlen. Im Vatikan bekräftigt man, dass nur die
traditionelle, »auf der Ehe beruhende« Familie Bestand haben darf.
Doch das ist nur der erste Punkt. Es geht dann auch um die vielen
offenen Fragen, von der Gleichstellung der Schulen bis zu »ethisch sensiblen
Themen« wie der Sterbehilfe. Zum ersten Mal wird ein derart wichtiges Manöver
hinter den Kulissen enthüllt: die Empfehlungen an Benedikt XVI., wie er versuchen kann, den
Staatspräsidenten in die gewünschte soziale, wirtschaftliche und politische
Richtung zu beeinflussen.
Ethisch sensible Themen. Bezüglich einer möglichen
Gesetzesmaßnahme zur Behandlung von Patienten im Endstadium einer Krankheit und
zur Patientenverfügung erscheint es notwendig, das Recht
Weitere Kostenlose Bücher