Seine junge Geliebte
der Sicherheit, die sie ihnen bieten können. Was kann Ihr Freund ihr denn geben? Er hat nichts, ist ein Künstler, der eine Kneipe betreibt. Sie wissen doch selbst, wie viele Wirte in kürzester Zeit pleite machen. Ich weiß nicht, ob man mit einer Kneipe viel Geld verdienen kann. Und mit der Malerei als Anfänger schon gar nicht! Ich glaube, Sie brauchen sich da gar keine Sorgen zu machen.«
»Nun ja …« Johann Heidmann ließ sich in einen Sessel fallen. Er saß wie ein zusammengekrümmtes Häufchen Elend da. »Es hat mich erwischt. Wissen Sie –«, er schaute auf, ein wehmütiges Lächeln flog über sein Gesicht, »die Augen haben es getan. Ich habe noch nie ein Mädchen gesehen, das solche Augen hat wie diese –«, er zögerte einen Augenblick, bevor er den Namen aussprach: »Bärbel. Ich kenne solche dunklen Augen nur aus Liebesromanen. Es wird mir schwerfallen, sie zu vergessen. Am liebsten –«, er wurde wieder ernst, »würde ich Sie bitten, mir ein paar Tage Urlaub zu geben.«
»Um zu vergessen?« Dr. Bruckner schüttelte den Kopf. »Vergessen kann man ab besten durch Arbeit. Ich werde Sie also zu besonderen Diensten einteilen …«
Dr. Heidmann wehrte ab: »Nicht um zu vergessen, sondern um nach Paris zu fahren!«
»Sie sind verrückt!« Bruckner sprang auf. Es sah aus, als ob er Heidmann bei den Schultern packen und ihn schütteln wollte. Aber dann ging er ein paar Schritte im Zimmer auf und ab, blieb neben dem jungen Kollegen stehen und legte ihm die Hand auf die Schultern. »In ein paar Tagen haben Sie alles vergessen. Machen Sie aber vorher bitte keine Dummheiten!«
»Ich habe dieses Wochenende frei!« Johann Heidmann war ebenfalls aufgestanden. »Eine Fahrt nach Paris ist ja heute keine Affäre mehr. Mit dem Intercity bin ich in fünf Stunden da.«
»Und was wollen Sie dort machen? Das sind doch kindische Vorstellungen!« Dr. Bruckners Stimme klang sanft, als spreche er zu einem kleinen Kind und versuche, es von irgendwelchen träumerischen Fantasien zu befreien. »Sie können doch nicht die Zuneigung eines Menschen dadurch gewinnen, daß Sie im unpassenden Moment bei ihm auftauchen. Sie erreichen dadurch nur das Gegenteil. Wenn sich diese Bärbel in Ihren Schulfreund verliebt hat, können Sie nichts machen, um sie zurückzuholen. Sollte sie sich aber in Sie –«, er zeigte auf Heidmann, »verliebt haben, dann wird sie zu Ihnen zurückkehren. Ich fürchte nur, daß sie bald wieder bei Herrn Sartorius landen wird. Vielleicht nimmt sie das kleine Abenteuer in Paris mit. Warum sollte sie auch nicht? Aber sie wird wahrscheinlich dann genauso rasch in den sicheren Hafen des älteren Geliebten zurückkehren.«
Dr. Bruckner schaute auf die Uhr. »Ich glaube, unsere nächste Operation ruft.« Er klopfte Heidmann so kräftig auf die Schultern, daß dieser fast vornüber gefallen wäre. »Kopf hoch! Vergessen Sie alles, lächeln Sie wieder!«
Allmählich hatte sich das Abteil des Zuges gefüllt. Bärbel und Axel waren nicht mehr allein geblieben, aber es störte sie jetzt nicht mehr. Sie hatten sich gefunden, hielten sich bei der Hand und fühlten sich trotz der Menschen, die in dem Abteil waren, so, als befänden sie sich auf einer einsamen Insel. Sie brauchten nichts mehr zu reden. Sie verstanden sich ohne Worte. Axel konnte den Blick von den schwarzen Augen Bärbels nicht wenden. Sie kostete den Druck seiner Hand aus, die ihre Hand hielt, und spürte die Wärme seines Körpers.
»Schau mal rechts hinaus –«, Axel deutete zum Fenster. »Siehst du auf dem Berg Sacré Coeur?«
Bärbel folgte mit ihrem Blick seinem Finger. »Das sieht ja wunderbar aus – wie ein Märchenschloß ragt es aus dem häßlichen Häusergewühl empor.«
»Wie der Berg Montsalvatsch aus der Parzivalsage«, bestätigte Axel. »Das ist das Zeichen, daß wir gleich im Gare du Nord sind. Wir können uns zum Aussteigen fertig machen. Der Zug wird sofort halten.«
Im Abteil machte sich jene Unruhe bemerkbar, die immer vor einer Endstation auftritt. Die anderen Reisenden holten ihre Koffer aus den Netzen, zogen sich ihre Mäntel über und gingen schon auf den Flur hinaus.
»Der Globetrotter bleibt so lange sitzen, bis der Zug hält.« Axel hielt Bärbel zurück, die mit ihrem Koffer auch zum Ausgang gehen wollte. »Willst du da auf dem Flur herumstehen und den Koffer in der Hand halten? Schau nur –«, er schloß die Tür zum Gang hin und nahm Bärbel in seine Arme, »du siehst, daß unsere Mitreisenden uns den
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