Seine Lordschaft lassen bitten
Briefe diktiert. Ich werde sicher lauter Unsinn schreiben. Oh, ich muß wirklich gehen. Sehen Sie doch nur, wie spät es schon ist!«
»Sie haben noch Zeit genug. Trinken Sie eine Tasse schwarzen Kaffee – dann fühlen Sie sich wieder ganz frisch.« Wimsey lächelte. »Sie haben durchaus nicht zuviel geredet. Die Schilderung des Bürolebens hat mir richtigen Spaß gemacht. Sie haben eine sehr lebhafte Ausdrucksweise. Ich sehe jetzt ganz deutlich, warum Mr. Plant sich keiner großen Beliebtheit erfreute.«
»Im Bü ro jedenfalls nicht – wie er anderswo war, weiß ich nicht«, fügte Miss Twitterton geheimnisvoll hinzu.
»Oho?«
»Oh! Er hatte es faustdick hinter den Ohren«, fuhr Miss Twitterton fort. »Das kann man wirklich sagen. Ein paar Freunde von mir trafen ihn eines Abends im Westend, und sie konnten so allerlei berichten. Es war direkt ein Witz im Büro – der alte Plant und seine Rosenknospen. Mr. Cowley – er ist der Cowley, wissen Sie, der die Motorradrennen fahrt – sagte immer, er wiss e, was er von Mr. Plant und sei nen Autotouren zu halten habe. Einmal, als Mr. Plant so tat, als sei er mit seinem Auto durch Wales gefahren, fragte ihn Mr. Cowley über die Straße n aus, und er hatte keinen blassen Schimmer davon. Mr. Cowley kannte sich in Wales aus und konnte Mr. Plant so richtig reinlegen. Auß erdem wußte Mr. Cowley, daß Mr . Plant die ganze Zeit über in sehr attraktiver Gesellschaft in einem Hotel in Aberystwyth verbracht hatte.«
Miss Twitterton trank ihren Kaffee aus und setzte energisch die Tasse hin.
»Und jetzt muß ich aber laufen, sonst komme ich viel zu spät . Und ich danke Ihnen vielmals.«
»Nanu«, sagte Inspektor Winterbottom. »Sie haben also das Porträt gekauft?«
»Ja«, entgegnete Wimsey. »Es ist eine sch ö ne Leistung.« E r blickte gedankenvoll auf das Ölgemälde . »Nehmen Sie Platz, Herr Ins pektor, ich möchte Ihnen eine Geschichte erzä hlen.«
»Und ich mochte Ihnen eine erzählen.«
»Dann wollen wir erst Ihre hören«, sagte Wimsey mit einer Miene, die schmeichelhaftes Interesse bekundete.
»Nein, nein, Mylord. Sie haben den Vorrang. Fangen Sie nur an.«
Er kuschelte sich lachend in seinen Sessel.
»Nun«, bega nn Wimsey, »ich habe eine Art Mä rchen zu erzählen. Und wohlgemerkt, ich habe die Richtigkeit nicht nachgeprüft.«
»Weiter, Mylord, weiter.«
»Es war einmal...«, seufzte Wimsey.
»So fangen die al ten Mä rchen alle an«, meinte Inspektor Winterbottom.
»Es war einmal«, wiederholte Wimsey, »ein Maler. Er war ein guter Maler, aber die böse Fee ›Finanzieller Erfolg‹ war nicht zur Taufe geladen – was?«
»Das ist bei Malern oft so«, bestätigte der Inspektor.
»Daher mußte er eine Arbeit als gewerblicher Künstler annehmen , denn niemand wollte seine Bilder kaufen, und er hatte – wie so mancher Märchenprinz – den Wunsch, das Gä nseliesel zu heiraten.«
»Diesen Wunsch haben viele«, bemerkte der Inspektor.
»Der Leiter seiner Abtei lung«, fuhr Wimsey fort, »besaß eine gemeine, höhnische Seele. Er war nicht einmal tüchtig in seiner Arbeit, sondern im Kriege zur Macht gelangt, als bessere Männer zur Front zogen. Wohlgemerkt, der Mann tut mir ziemlich leid. Er litt unte r einem Inferioritä tskomplex« – der Inspektor schnaufte – »und er glaubte, er könne sich nur oben halten, wenn er andere Leute unten hielt. Also wurde er ein kleiner Tyrann und Krakeeler. Er steckte alles Lob für die Leistungen der unter ihm arbeitenden L eute ein und verhöhnte und drangsalierte sie, b is sie schlimmere Inferioritäts komplexe als er selber bekamen.«
»Solche Typen habe ich auch gekannt«, fiel der Inspektor ein, »und es ist mir ein Rätsel , wie sie damit durchkom men.«
»Ganz recht. Nun, dieser Mann wäre wohl weiterhin damit durchgekommen, wenn es ihm nicht eingefallen wäre, einen Maler dazu zu bewegen, daß er ihn porträtiere .«
»Das war ziemlich unüberl egt«, bemerkte der Inspektor, »denn dadurch wurde der Maler ja nur eingebildet.«
»Schon wahr. Aber sehen Sie, dieser kleine Tyrann hatte ein faszinierendes Frauenzimmer im Schlepptau, und er wünschte das Porträt für die Dame. Er hoffte, ein gutes Porträt für einen Hungerlohn zu bekommen. Doch er hatte eins vergessen: wieviel sich ein Künstler in seinem sonstigen Dasein auch gefallen läßt , in seiner Kunst muß er aufrichtig sein. Das ist das einzige, wo sich ein echter Künstler nicht dreinre den l äß t.«
»Das mag wohl sein«, meinte
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