Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
steige ich aus, gehe zu ihr hin, hocke mich neben sie und streiche ihr die traurigen Überbleibsel ihrer Haare aus dem Gesicht. Sie lächelt mich mit Tränen in den Augen an und drückt mir mit dem gesunden Arm die Hand. Ich frage sie ein paar Dinge, um sie abzulenken und um später nicht meinen Daten hinterherlaufen zu müssen. Sie erzählt mir, wie sie heißt, wo sie wohnt, gibt mir sogar ihre Telefonnummer. Dann sagt sie einen Satz, der mich trotz der traurigen Umstände unheimlich erleichtert: »Rufen Sie bitte meine Eltern an, dass es später wird und dass sie nicht auf mich und Onkel und Tante warten sollen.«
Dann schläft sie urplötzlich ein. Überrascht gucke ich den Notarzt an. Er zuckt mit den Achseln. »Beruhigungsmittel, ist besser so.« Erst jetzt sehe ich, dass ihr linker Arm nahezu ganz vom Körper abgerissen ist.
Ich wende mich ab, während die Sanitäter das Mädchen in den Rettungswagen bringen. Thomas tippt mir auf die Schulter. »Die kriegen das Feuer nicht aus, der hatte Reifen oder so geladen. Das Gummi brennt ohne Ende, und wir kommen nicht ran. Kümmere dich um die Zeugen, wir müssen warten, bis wir nach vorne können.«
Ich nicke und gehe an den Rettungswagen vorbei. Mittlerweile sind sechs Stück davon vor Ort. Dort treffe ich auf die ersten Zeugen. Sie werden von Sanitätern behandelt, haben Verbrennungen, weil sie versucht haben, die beiden Personen aus dem brennenden Auto zu ziehen – vergeblich. Ich nehme einen süßlichen Geruch wahr und versuche sogleich, ihn zu verdrängen. Trotzdem weiß ich: Das ist verbranntes Menschenfleisch. Es riecht so intensiv, dass der Geruch sogar den der brennenden Reifen überlagert.
Eine Zeugin beugt sich neben mir über die Leitplanke und übergibt sich. Ich würde es ihr am liebsten gleichtun, reiße mich aber zusammen, sage mir, dass ich Vorbild sein muss, dass ich Ruhe ausstrahlen soll und für die Menschen um mich herum da sein muss.
Automatisch greife ich nach meinem Notfallschokoriegel, der seit einigen Wochen meine Notfallzigaretten ersetzt, und während ich Personalien und Aussagen notiere, tröste und versuche, den Menschen den Blick auf den mittlerweile fast ausgebrannten Pkw zu verstellen, futtere ich meinen Schokoriegel. Irgendwie gibt mir das Halt.
Mein Kollege taucht aus dem Nichts wieder neben mir auf. »Okay, ich weiß, wie es passiert ist. Kannst du Fotos machen? Die anderen kümmern sich um Abschleppdienste und machen eine Skizze.«
Ich nicke und reiche ihm meinen Notizblock. »Hier die Zeugen, haben aber alle den Unfall selbst nicht gesehen, sind erst danach hier angekommen.«
»Macht nichts, ich hab den Lkw-Fahrer gefunden, zu dem der Anhänger gehört.«
Ich nicke. »Wie ist das denn passiert, und was ist überhaupt passiert?«
Er sieht mich traurig an. Vergessen sind die Witzchen über die Todeswolke, die wir eben noch so spaßig fanden. »Der Lkw-Fahrer ist eingeschlafen, nach rechts gegen die Leitplanke gekommen. Dabei ist der Anhänger abgerissen und umgekippt, quer zur Fahrbahn liegen geblieben, unbeleuchtet mit dem Unterboden in Richtung des ankommenden Verkehrs. Der nachfolgende Wagen hatte keine Chance, ist ungebremst dagegengefahren. Fahrer war vermutlich sofort tot, Beifahrerin ist laut dem Zeugen da hinten in den Flammen gestorben. Die Kleine ist irgendwie aus dem Auto rausgekommen und den anderen Fahrzeugen entgegengerannt, sodass zum Glück kein anderer mehr reingefahren ist.«
Seufzend blicke ich zu den Zeugen hinüber, die immer noch niedergeschlagen neben den Rettungswagen auf der Leitplanke und am Boden kauern. Hinter mir macht sich die Feuerwehr daran, die Toten aus dem Auto zu holen. Jemand weint.
Ich nehme den Fotoapparat und marschiere los, fotografiere mich langsam von harmlos zu entsetzlich. Beginne bei den Schäden an der Schutzplanke, arbeite mich zum Pkw durch.
Der Innenraum des nagelneuen Mercedes ist eine einzige geschmolzene Masse. Im hinteren Fußraum liegt ein verblüffenderweise nur leicht angesengtes rosa Plüschkaninchen. Ich fische es heraus, klemme es mir unter den Arm und werde es dem Mädchen ins Krankenhaus bringen. Auf dem Kofferraumdeckel sehe ich blutige Kinderhandabdrücke. Durch die geborstene Heckscheibe ist die Kleine also rausgeklettert, denke ich mir und knipse weiter. Keine Bremsspuren. Der Tacho ist geschmolzen, die Nadel hängt irgendwo bei 200 km/h.
Systematisch knipse ich weiter, nehme mir den Anhänger vor und schließlich auch noch die Zugmaschine des Lkw.
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