Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Dann erst schaffe ich es, mich den beiden Hubbeln unter den schwarzen Decken zuzuwenden, die auf dem Seitenstreifen liegen. Ich stehe davor und schlucke hart. Es stinkt nach verbrannten Haaren, und die Silhouetten unter den Decken sehen unnatürlich verkrümmt aus, kaum menschlich.
Hinter mir höre ich eine Stimme. »Wenn du das nicht kannst, mach ich das. Ich weiß, dass das deine ersten Verbrannten sind.«
Ich sehe Thomas dankbar an, schüttele aber den Kopf. »Da muss ich durch, irgendwann ist immer das erste Mal.«
Er nickt, man sieht, dass er froh ist, dass ich sein Angebot abgelehnt habe. Trotzdem bleibt er neben mir stehen und legt mir eine Hand auf die Schulter, als ich die Decken zur Seite schlage und meine grausigen Fotos mache.
Wieder auf der Wache, treffe ich zum ersten Mal seit unserem Begrüßungsgespräch vor einigen Monaten auf den Herrn mit den goldenen Sternen. Wieder hat er dieses offenbar nie erlöschende Lächeln im Gesicht. Während wir die Unfallanzeige in den PC tippen, holt er uns je einen Becher Kaffee, dann sieht er mich an: »Und, Frau Binder? Wie ist das so mit der Langeweile bei uns auf der Autobahn? Fühlen Sie sich nützlich?«
Ich schlucke den Kloß im Hals runter und lächele zu ihm hoch. Zu sagen brauche ich nichts. Er tippt sich grüßend an die Mütze und lässt uns weiterarbeiten.
Den Film »Final Destination« habe ich aus lauter Aberglaube bis heute nicht komplett gesehen, und das Ende wollte mir auch niemand mehr verraten.
Schafe auf der A1
2003
Natürlich sind tödliche Unfälle und harte Einsätze nicht der Alltag bei der Polizei. Auch erfahrene Polizisten kratzen nicht jeden Tag Tote von der Fahrbahn, liefern sich nicht jeden Tag wilde Verfolgungsfahrten und nehmen nicht jeden Tag einen Bankräuber fest. Manche Tage sind einfach nur von normalen Einsätzen geprägt, die zwar für die Menschen, die darin verwickelt sind, auch immer eine Ausnahmesituation darstellen – sei es ein kleiner Unfall mit Sachschaden oder ein Streit unter Nachbarn, eine Ruhestörung oder eine simple Verkehrskontrolle. Für uns Beamte sind sie, so riskant dieses Wort auch ist, Routine.
Doch zwischen wirklich nervenaufreibenden Einsätzen und Routineeinsätzen gibt es eine dritte Sorte, nämlich die, die einfach nur Spaß machen, über die man auch Jahre später noch herzlich lachen kann und an die man sich gerne zurückerinnert. So war es mit den Schafen auf der A 1 .
Meine Kollegin Nadine und ich rollen mit dem Streifenwagen über die A 1 vom Autobahnkreuz Köln-West in Richtung Leverkusen. Der Dienst hat gerade erst angefangen, die anderen Streifenwagenbesatzungen sind mit Sperrungen für eine Brückensprengung beschäftigt, und wir sollen für alle anderen Einsätze bereit sein. Doch bisher ist nichts angefallen – kein Unfall, keine Gegenstände auf der Fahrbahn, nicht mal jemanden ohne Sicherheitsgurt haben wir erspäht. Also fahren wir im herrlichsten Sonnenschein durch den Frühlingsmorgen und warten auf den ersten Einsatz des Tages, als ein Räuspern aus dem Funk ertönt: »Schafe auf der A 1 kurz vorm Kreuz Köln-Nord.« Nadine bestätigt, und ich steuere den Wagen ein wenig schneller in die Richtung.
Schafe sind eigentlich gar nicht so schlecht. Sie sind nicht so schnell und wendig wie Ziegen, Wildschweine oder Hunde, und sie sind kleiner und somit handlicher als Rehe, Pferde oder gar Kühe. Daher verursachen sie auch nicht so viel Schaden, wenn es zu einem Unfall kommt, und sie lassen sich auch locker von einer Person wegschleifen, während man für ein kaputt gefahrenes Wildschwein schon mal zwei oder drei Kollegen braucht, um es von der Fahrbahn zu hieven. Ich selbst hatte mich gerade vor ein paar Wochen dran probiert, war forsch auf die tote Sau zugegangen, hatte sie an einem Hinterlauf gepackt und wollte sie von der Fahrbahn zerren. Mit den zweihundert Kilo Fleischmasse hatte ich aber irgendwie nicht gerechnet. So zog und zerrte ich, die Sau bewegte sich keinen Zentimeter, und schließlich riss der ohnehin durch den Unfall leicht lose sitzende Hinterlauf ab. Ich purzelte rückwärts und landete mit der abgerissenen Wildschweinkeule auf der Brust auf dem Seitenstreifen.
Während ich so noch meinen Gedanken nachhänge und wir in Richtung Einsatzort fahren, wird der Verkehr für einen Samstagmorgen immer dichter, bis wir schließlich kurz vor dem Autobahnkreuz in einem ausgewachsenen Stau stehen. Nichts geht mehr.
Ich schalte das Horn ein, und wir kämpfen uns durch nur
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