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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Binder
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, ISCH MACH DIE TÜR NISCH AUF . IHR NEHMT MIR NUR WIEDER SACHEN WEG . MEINE SACHEN !«
    Laut und deutlich im ganzen Hausflur ist er verständlich.
    Ich trommele gegen die Wohnungstür. »Herr Bach, machen Sie die Tür auf! Ihre Nachbarn wollen Ruhe. Das müssen Sie doch verstehen!«
    »Nö!« Seine Stimme ist jetzt dicht hinter der Wohnungstür. Schließlich macht er dann doch einen Spalt weit auf und sieht uns an. »Wenn die Nazis misch die Boxen wegnehmen tun, dann singisch! ISCH SING DIE GANZE NACHT ! DIE GANZE NACHT !!«
    »Herr Bach, wenn Sie jetzt nicht Ruhe geben, dann müssen wir Sie mitnehmen. Dann schlafen Sie in einer unserer Zellen, bis Sie nüchtern sind und sich wieder so verhalten, dass Sie niemanden stören! Das wollen wir nicht, und das wollen Sie nicht!«
    »Misch nimmt keiner mit, un Sie ham ja au gar keine Mütze an. Da ham Sie ja janischt zu sagen!« Seine Hände krallen sich um das im Flur stehende Regal.
    Eigentlich sollte mich Herrn Bachs Logik nicht überraschen, denn das Märchen von der Mütze begegnet mir im täglichen Dienst häufig. Viele Menschen meinen, ohne diesen hässlichen und unbequemen Helm auf dem Schädel dürfte ich keine Weisungen erteilen. Spaßeshalber habe ich tatsächlich mal alte Polizeigesetze gewälzt, aber Fehlanzeige: Eine gesetzliche Vorschrift, dass ein Polizist zwingend eine Mütze zu tragen habe, existiert nirgends.
    Ich persönlich trage meine Mütze nur, wenn ich es sinnvoll finde: bei Regen zum Beispiel, um Schulkinder zu erfreuen oder wenn ich irgendwo den Verkehr regeln muss. Sie tut weh, obwohl innen groß »stirndruckfrei« steht, und sie ist ständig im Weg. Bückt man sich, fällt sie runter, rennt man, fällt sie runter, ist es windig, wird sie einem vom Kopf geweht, und betritt man eine Kneipe oder trägt sie gar im Kölner Karneval, kann man ebenfalls erst mal hinter allen möglichen Menschen herflitzen, die einem das Ding vom Kopf schlagen.
    Auch Herrn Bach scheint irgendwie klar zu sein, dass ich seinen Hinweis auf die fehlende Mütze nicht wirklich ernst nehmen werde, vor allem weil uns beiden bewusst ist, dass er die Blasmusik auch dann nicht abstellen würde, wenn ich tatsächlich mit meiner weißen Mütze bei ihm im Wohnungsflur aufgetaucht wäre.
    »Misch haben die Russen damals schon nich mitgenommen. Eusch Kindern zeigisch auch noch, was der Bach alles kann. WIR HATTEN DIE PEST AN BORD …«, unterbricht er meine Gedankengänge und schmettert wieder los, wobei er mir vor lauter Inbrunst fast sein Gebiss vor die Füße spuckt.
    Ich tausche einen Blick mit meinem Kollegen, der wieder nur mit den Achseln zuckt. »Wenn er es so haben will!«
    Ich nicke und wünsche mir doch, dass wir eine andere Möglichkeit hätten, um hier die Nachtruhe der Anwohner wieder herzustellen. Aber Herr Bach hat diese kleinen Ausfälle alle paar Wochen. Eigentlich ist er ein ganz normaler, braver Rentner, doch wenn er getrunken hat, wird er anstrengend und ein Fall für die Polizei.
    »Isch hau eusch alle kaputt, wennisch nisch meine Musik hörn darf!« Um seine Aussage zu unterstreichen, holt er aus und schlägt mir mit all seiner Kraft vor die Brust. Sein Angriff lässt mich nicht mal wanken, geschweige denn, dass er wehtut. Ich fange Herrn Bachs Hand ab und biege sie ihm ohne große Schwierigkeiten auf den Rücken. Mein Kollege ist sofort zur Stelle und fasst seine andere Hand. Beide haben wir eher Probleme, dem hageren alten Männlein nicht aus Versehen wehzutun, als ihn wirklich zu kontrollieren. Innerhalb weniger Minuten haben wir ihm einen Mantel über seinen giftgrünen Schlafanzug gezogen, ihn aus der Wohnung und in den Streifenwagen bugsiert und die Wohnung verschlossen.
    Anscheinend hat er entschieden, nicht mehr mit uns zu sprechen. Seine Taktik ist stattdessen – Folter! Reine Gesangsfolter! Auf dem ganzen Weg von Chorweiler nach Kalk, wo sich unser Zellentrakt befindet, grölt er mir, die ich neben ihm auf dem Rücksitz hocke, ununterbrochen kölsche Karnevalslieder in die Ohren. Zwanzig Minuten lang.
    » DIE KARAWANE ZIEHT WEITER , DER SULTAN HÄTT DURSCHT !«, brüllt Herr Bach gerade mit feuchter Aussprache den Hit der Höhner, als wir vor dem Präsidium stoppen. Mein Kollege öffnet ihm die Tür, und ich helfe beim Aussteigen.
    »Hück es Polterovend en d’r Elsassstross, denn d’r Pitter hierot morje et Marie«, begrüßt er singend die Beamten des Gewahrsamdienstes, die Herrn Bach schon kennen und ihn freundlich willkommen heißen.
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