Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Abend, Herr Bach, wieder zu laut Musik gehört?«
»Die Nazis haben keinen Humor!« Traurig schüttelt er den Kopf und deutet auf Martin und mich. »Und Musikgeschmack schon gar nicht! ECHTE FRÜNDE STON ZESAMMEN , STON ZESAMME SU WIE ENE JOTT UN POTT , ECHTE FRÜN …«
Laut singend, geht er vor den Kollegen her zu seiner Zelle. An der Tür winkt er uns noch mal grinsend zu, dann fällt die Stahltür hinter ihm ins Schloss. Wir bleiben auf dem Gang stehen und warten. Denn jetzt müsste kommen, was immer kommt, wenn Herr Bach es mal wieder übertrieben hat. Aber nichts passiert.
Gerade will ich mich umdrehen und gehen, als es aus der Zelle schallt:
» DU BES KÖLLE
DU BES SUPER TOLERANT …
ARSCHLÖCHER ALLE , ISCH HAB NUR MUSIK JEHÖRT ! SUUUUPER TOLERANT , datischnischlach! NAZIS ! ALLEMITEINANDER NAZIS ! UNMUSIKALISCHE NAZIS !«
Grinsend drehen wir uns um, sicher, dass er an diesem alle paar Wochen wiederkehrenden Spiel im Stillen seine Freude hat, und gehen zu unserem Streifenwagen.
Als wir losfahren, räuspert mein Kollege sich kurz. Greift zum Außenlautsprecher und singt:
»Du bes Kölle,
Du bes super tolerant,
Nimps jeden op d’r Ärm
Un an de Hand!
Tschüs, Herr Bach!«
Zu gerne wüsste ich, ob Herr Bach das noch gehört hat.
Am nächsten Morgen wird Herr Bach stocknüchtern auf der Wache aufschlagen, mit vor Scham geröteten Wangen seine Musikanlage entgegennehmen und in seinem giftgrünen Schlafanzug nach Hause schlurfen. In ein paar Wochen wird er den Vorfall schon wieder vergessen haben, und sein Bedürfnis nach Blasmusik oder Gesellschaft wird so groß sein, dass er wieder Radau veranstaltet und prompt Besuch von mir oder meinen Kollegen bekommt. Aber wenn ich ehrlich bin, mag ich die irgendwie auch lustigen Einsätze bei Herrn Bach doch tausendmal lieber als Einsätze bei Menschen, denen wirkliches Leid widerfahren ist.
Dass wir jemanden direkt aus der Wohnung abholen und in Gewahrsam nehmen wie im Fall von Herrn Bach, ist allerdings selten. Meistens handelt es sich um Randalierer vor Kneipen, auf der Straße oder nach Feten oder um Betrunkene in Bahnen oder Bussen, die dann meist aufgrund ihres Alkoholkonsums nicht mehr in der Lage sind zu erkennen, wo genau der Spaß aufhört. Dann wird es eben doch nötig, dass wir der freundlichen Aufforderung, den Platz zu verlassen, Taten folgen lassen. Hier und da bekommen wir im Streifenwagen dann ein sehr überraschtes »He, das dürfen Sie nicht!« oder »Mein Papa ist aber Anwalt!« zu hören. Scheinbar gehen manche Menschen tatsächlich davon aus, dass wir keine rechtliche Handhabe besitzen und einen Randalierer lieber weiter randalieren lassen sollten.
Interessant ist auch zu beobachten, dass die mutigen Rädelsführer, die vorher noch die großen Reden geschwungen haben, im Streifenwagen häufig ganz leise werden, wenn sie realisieren, dass es jetzt erst mal für eine Nacht in die keineswegs wohnliche und vor allem olfaktorisch recht interessante Ausnüchterungszelle geht.
Wenn die Stahltür dann ins Schloss fällt und die Riegel laut einrasten, setzt bei denen, die noch nicht so voll sind, dass ihr Verstand komplett ausgeschaltet ist, immerhin ein Prozess des Nachdenkens ein. Dummerweise hält dieses Nachdenken immer nur bis zum nächsten Saufgelage an, und so kennen wir und der Gewahrsamsdienst unsere Pappenheimer, so wie Herrn Bach, meist schon mit Vor- und Nachnamen, da es immer wieder die Gleichen sind, die extrem über die Stränge schlagen und dann in unserer wohnlich weiß gekachelten Zelle landen.
Das muss Liebe sein
2008
Ein weiterer wichtiger Grund, warum der eine oder andere mal bei uns nächtigt, ist die Durchsetzung der Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz infolge häuslicher Gewalt. Darunter fallen all die Gewalttaten, die in einer häuslichen Gemeinschaft stattfinden. Das kann eine Partnerschaft, eine Ehe, eine Familie, aber auch eine Wohngemeinschaft sein.
Vor einigen Jahren hat der Gesetzgeber die Probleme dieser Straftaten endlich als solche erkannt und uns Polizeibeamten mehr Möglichkeiten zum Schutz der Opfer an die Hand gegeben. Seitdem dürfen wir in Fällen von häuslicher Gewalt nicht nur für Ruhe sorgen und den Aggressor aus der Wohnung verbannen, sondern gleichzeitig bekommt der- oder diejenige – ja, es gibt auch Frauen, die ihre Partner, Partnerinnen oder auch Kinder schlagen – ein Rückkehrverbot für zehn Tage. Von jetzt auf gleich für zehn Tage aus der eigenen Wohnung gejagt zu werden ist
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