Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Straftaten, sondern viel banalere Dinge.
»Verpisisch, du Pissnelke. Das gehtisch janischts anhier!«
Kaum stehen kann der etwa neunzigjährige Herr vor mir, deshalb lehnt er an der Wand seines Wohnungsflurs.
»Isch hör Blasmusik, wannisch will!« Zack – will er mir die Tür vor der Nase zuknallen, aber mein Fuß ist schneller, und schon stehe ich in der Wohnung. Mein Kollege Martin direkt hinter mir.
»Herr Bach, natürlich können Sie Blasmusik hören, wann Sie wollen, aber eben nicht so laut, vor allem nicht nachts!«
»Das is meine Wohnung hier. Raus, du Göre! RAUS , habb isch gesagt!«
Ich schüttele den Kopf. »Herr Bach, wir sind sofort weg hier, wenn Sie die Musik aus oder leiser machen!«
»Machisch nischt!« Er verschränkt bockig die Arme und blitzt mich böse an.
»Herr Bach, seien Sie doch vernünftig!« Die Stimme meines Kollegen Martin übertönt das laute Rumtata, das aus dem Wohnzimmer hinter Herrn Bach schallt.
»Verpissteusch, ihr Nazis! Wie bei die Nazis. Da durftisch auch nie Blasmusik hören!«
Seufzend schiebe ich Herrn Bach zur Seite und betrete das Wohnzimmer, während er laut zu kreischen anfängt. » ISCH KENNE MEINE RESCHTE ! SIE BRAUCHEN EINEN DURCHSUCHUNGSBEFEHL !«
Wie oft habe ich diesen Spruch schon in allen möglichen Situationen gehört? Hunderte Male und vor allem immer genau dann, wenn total unstrittig ist, dass die Polizei genau diese Wohnung jetzt und sofort und vor allem ganz ohne Durchsuchungsbeschluss betreten darf. Tatsächlich brauchen wir für eine Wohnungsdurchsuchung einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, allerdings nicht, wenn in der Wohnung eine für uns »erkennbare Gefahr« droht. Das können »Immissionen« sein, wie es jetzt bei Herrn Bach durch seine laute Blasmusik der Fall ist, es kann aber auch ein Straftäter sein, der sich in die Räumlichkeiten geflüchtet hat, oder es können Hinweise darauf sein, dass in der Wohnung gerade eine Straftat verübt wird oder wurde.
»Nein, Herr Bach! Das nennt man Gefahr in Verzug, und in solchen Fällen dürfen wir überall rein, wenn wir es für sinnvoll erachten. Auch jetzt in Ihre Wohnung.«
»Gefahr im Vollzuuuuch?«, nuschelt der alte Mann und schubst mich leicht, während ich mich im Wohnzimmer umsehe, auf der Suche nach der Musikanlage. » RAUS AUS MEINER WOHNUNG , sonst …«
»Ja, Herr Bach, wir sind sofort weg, wenn Sie die Musik ausmachen!«
Während ich schon erkannt habe, dass wir hier mit Reden nicht weiterkommen, und Herr Bach auch viel zu voll ist, um überhaupt noch ein vernünftiges Gespräch zu führen, ist Martin offenbar geduldiger. Zum dritten Mal erklärt er, dass der gesamte Häuserblock nicht schlafen kann, weil Herr Bach nun schon seit gestern Abend um 18 Uhr bei offenem Fenster in Festzeltlautstärke seine Blasmusik hört. Und jetzt ist es drei Uhr morgens.
Vor uns waren schon mal Kollegen hier, da war Herr Bach noch ein wenig nüchterner und gelobte, das Fenster zu schließen und die Musik leiser zu stellen.
Der Frieden hielt genau eine Stunde, dann hatte er das Fenster wieder geöffnet und die Musik erneut auf volle Lautstärke gedreht.
Ich beuge mich über die Anlage und schalte sie aus. »Herr Bach, da Sie ja keine Ruhe halten können, nehme ich Ihre Boxen mit. Die können Sie dann morgen bei uns abholen, wenn Sie wieder nüchtern sind!«
» MIESES WEIBSBILD !«, schnaubt der alte Mann und spielt mit der Zunge an seinem Gebiss, während ich die Kabel löse und mir die Boxen unter die Arme klemme.
»Herr Bach, hätten Sie die Musik leiser gemacht, wäre das nicht nötig, aber so …« Martin zuckt mit den Schultern.
Ich drücke Herrn Bach eine rasch ausgefüllte Quittung für seine Boxen in die Hand und ermahne ihn noch mal, jetzt ruhig zu sein und an die Nachbarn zu denken.
»Nachbarn, allesch Asoschiale, kein Musikgeschmack, die Banausen! Diebe, miese kleine Diebe, nehmen mir meine Boxen weg!«, meckert er hinter uns her, als wir die Wohnung verlassen.
Zwanzig Minuten später stehen wir wieder bei Herrn Bach vor der Tür. Diesmal schallt keine Blasmusik mehr aus der Wohnung, sondern er hängt im Fenster und singt abwechselnd kölsche Karnevals- und Seemannslieder.
»Leb wohl, leb wohl.
Der Langbein, der war der Erste,
Der soff von dem faulen Nass.
Die Pest, sie gab ihm das Letzte
Und wir ihm ein Seemannsgrab.
Ahoi! Kameraden. Ahoi, ahoi.
Leb wohl, kleines Mädel,
Leb wohl, leb wohl.
Und endlich nach 30 Tagen,
Da kam ein Schiff in Sicht …
SCHNAUZE
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