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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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Trommelschläge, als liefe ein Riss durch die Welt und mitten durch ihn hindurch. Sollte er zurückspringen oder stillstehen?
    »Ein Kind«, hatte er wiederholt, als hätte er nicht recht verstanden worum es geht. »Einen Inder?«, hatte er gefragt, gehofft, er habe sich verhört. »Einen Inder willst du umbringen, keinen Russen?«
    »Du hörst von mir«, hatte der Unbekannte sich verabschiedet und war auf der Tanzfläche zwischen den gebogenen Körpern verschwunden.
    Joseph drehte sich und sprang zurück auf den sicheren Boden. Hatte er sich zu weit aufs Eis gewagt? Das Gespräch von gestern Nacht, oder war es heute Morgen?, ging ihm nicht aus dem schmerzenden Schädel, aus dem Bauch, der ihm gerade mitteilte, dass er fast eingebrochen wäre.
    Joseph setzte sich auf die schneebedeckte Bank und tränkte seinen Mantel mit Nässe. Er spürte die Kälte unter sich nicht, nur das Echo seines Herzschlags, das unter der Eisdecke dort draußen lag. Jeden Morgen hielt er auf dem Weg in die Kanzlei am See für eine Zigarettenlänge, für ein paar Lungen- und Schwimmzüge. Das Wetter machte ihm nichts aus, er ignorierte es, es hatte nichts mit ihm zu tun, so sehr es sich auch um seine Aufmerksamkeit bemühte, wenn der Schnee ihm die Augen verklebte oder der Regen auf ihn eintrommelte, ihn von hinten überraschte oder gar golfballgroße Hagelkörner nach ihm schlug. Jedes Wetter war ihm recht, beim Stehen am See, in der Sonne, im Nebel, im Wasser, im Eis, in der Dämmerung, in der Nacht, die nicht heimwollte auf die andere Seite der Erde. Meistens war er allein hier, er und der Wilde Kaiser, über ihnen nur Himmel, die Stille, die sie mit den Tieren im lauernden Dunkel teilten. Nur im Sommer störte ihn ein aufdringlicher Immobilienmakler, der seinen Liegestuhl in der ersten Reihe aufklappte, Handtücher über die Lehne warf oder seine Schuhe auf der Sitzfläche abstellte, als würde er laufen, als wäre er gelaufen, als wollte er mehr, als nur in der ersten Reihe liegen und alle ausblenden. Joseph hatte sich oft vorgestellt, wie er ihn unter Wasser drücken würde, wie er ihn auf seinem Stuhl festband und hinaus auf den See schob, wie er ihm die Tennissocken in den Mund stopfte. Dieser Mensch war eine Umweltverschmutzung, eine Landschaftsverschandelung. Er verstand nichts von der Magie dieses Ortes und seinen Gesetzen, die die Menschen nur duldeten. Aber noch mehr hatte er Joseph gestört, wenn er die Schwimmerin beobachtete, deren Armbewegungen ihn hypnotisierten und in seinen Blicken mit den Wellen verschmolzen. An dem Tag, an dem Joseph sie ansprechen würde, würde sein Leben sich verändern, würde nichts mehr bleiben, wie es war.
    Heute war er allein am See, im Winter gehörte er ihm, auch wenn er hoffte, er würde sie am Horizont auf Langlaufskiern vorbeigleiten sehn, ihre fließenden Arme und Schulterblätter.
    Joseph wollte bis zum Sonnenaufgang warten. »Würdest du auch einen Mörder verteidigen?« Er wiederholte wieder und wieder das Gespräch. Er isolierte den Lärm, die Beats, die Champagnerflaschen, Wodkakübel, den DJ , die schmalen Hüften und T-Shirt-Ausschnitte, die fliegenden Haare, die Knöchel, Absätze und Tattoos, um diesen Mann vors Auge und sein Gesicht zu bekommen. »Und wenn es ein Kind wäre?« Er schaffte es nicht, er hörte nur die Stimme. Er bekam kein Phantombild zusammen, sah nur die feisten, aufgeblähten durchlöcherten Schwammfressen der neureichen, gealterten Unternehmersöhnchen, die das Geld von Generationen versoffen, verrauchten, verhurten. Schwarze Anzüge, weiße offene Hemden, Seidenschals, blasierte Langweiler, die sich alle ähnelten, so unterschiedlich hässlich sie auch waren mit ihren Silikonseelen, ihren aufgespritzten Herzen und ihren Schwänzen mit Geldchip.
    Joseph lächelte, denn so hätte er es nie gesagt, aber da war dieser Journalist, mit dem er auf der Party war, dem zuliebe er überhaupt hingegangen war, der aber dann nach dem gesetzten Dinner verschwunden war. Bis plötzlich dieser Mann neben ihm saß. »Ein Kind.« Joseph untersuchte seine Taschen, ob sich nicht vielleicht irgendwo eine Visitenkarte, eine Nummer fand. Ein sinnloses Unterfangen, er hatte sich umgezogen. Er war nach Hause gegangen, hatte sich unter die Dusche gestellt, rasiert, einen Löffel Chilipulver pur geschluckt, Ingwertee getrunken, sich wie jeden Morgen perfekt gekleidet, und war sofort wieder aufgebrochen, obwohl er sich ein paar Stunden Schlaf hätte gönnen können. Aber nichts konnte die

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