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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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Leichenteppiche. Ihr Hunger trieb sie immer weiter nach oben. Sie saßen in den Gondeln mit ihren zerfressenen Gesichtern, ihren ausgelutschten Augen, sie schleppten sich auf Skifellen den Berg hoch, Schritt für Schritt ohne Puls. Sie würden ihn einkreisen. Vielleicht könnte er ihnen entkommen, wenn er vor ihnen in der Schwebegondel wäre. Er müsste es bis zum Zweitausender schaffen. Das war die Grenze, die sie nicht überwinden würden.
    Als er die Teilnehmer eines Skikurses sah, erschrak Ödön, schreckte auf aus einer Fluchtphantasie, die ihn kurzzeitig wiederbelebt hatte. Nein, er war der einzige Zombie hier, resignierte er. Sein Leben war vorbei. Es half nichts, sich etwas vorzumachen oder einfach weiterzumachen, Fremde anzusprechen, als seien sie die Erlösung, der Ausweg. Er hatte seine Reise begonnen, nichts konnte ihn aufhalten. Er verachtete sich dafür, dass er sich aufhalten lassen wollte, dass etwas in seinem Inneren sich gegen seinen Entschluss wehrte, widerstand, sich auflehnte. Warum war er gestern Nacht zu dieser Party gegangen? Warum hatte er sich nicht einfach in seinem Hotelzimmer eingesperrt, Schlaftabletten genommen und die Zeit ausgelöscht. Warum suchte er noch Leben, wo doch in ihm längst alles Leben abgestorben war, jede Freude? Gott hatte seine Flamme mit nassem Finger und Daumen ausgedrückt, sagte er sich. Er fühlte sich wie erkaltetes Wachs. Und suchte das Feuer. Als wäre es nicht zu spät. Er musste es nicht tun. Er wusste, er musste es nicht. Aber es war stärker als die Vernunft. Es hatte ihn überkommen. Es wäre nicht mehr fortgegangen. Er hatte sich diesen Ort nicht ausgesucht. Gab es denn einen Ort auf dieser Welt, den er mehr liebte?
    Er war willenlos, er hatte seinen Willen losgelassen und er war ihm gefolgt. Er trieb ihn vor sich her, es war ein Zwang. Er musste ihm nachgeben. Selbst wenn es den kläglichen Rest begraben würde von dem, was ihm noch für einen Augenblick Vergessen schenken konnte, eine Sekunde Schönheit, die Sonne auf dem Schnee, nachdem der Nebel weiterzog, das blaue Band, das seine Schleife um die Gipfel zog, die Schneeflocken, die in die Pupillen fielen, um als Tränen über seine Wangen zu laufen. Er würde auch seinen letzten Himmel zur Hölle machen, den letzten Streifen Licht schwärzen wie der Regen den Schnee mit Schmutz. Es war zu spät, es war längst zu stark geworden in ihm, sein Kopf war gelähmt, er konnte ihn nicht länger zurückhalten, weder mit Vernunft noch mit der Illusion, dass alles gut würde, alles wird wieder gut. Nichts wird mehr gut, schrie er und stemmte die Stecken ins Eis, als er aus der Gondel glitt.
     
    Ödön folgte dem Skikurs. Bald hatte er sie eingeholt, da war er sich sicher.

5
    Franz Huller hasste die Streif. Er spürte sie in seinen Knien wie andere schlechtes Wetter, wenn die Bleiplättchen und Schrauben im Körper sich aufladen mit Schmerz. Nahte die Streif, schwoll Hullers Knie an. Andere konnten in ihren Beckenboden oder egal wohin atmen, in den kleinen Finger oder die Achillesferse, er fühlte, wie die Streif bevorstand, als würde sie wie der Föhn über die Bergrücken herabstürzen, ein heimtückischer Fallwind. Schon Tage vorher zog er das rechte Bein unmerklich nach. Wurde er darauf angesprochen, sprach er von einem Gichtanfall, von Harnsäure, davon, dass er es mit dem Weißwein übertrieben habe, das rote Fleisch, die Steaks, Krustentiere, obwohl er keine Meeresfrüchte aß. Allein das Wort »Muschel« drehte ihm den Magen um.
    Er hätte die Streif meiden können, wegfahren, die Stadt verlassen, an irgendeinem Strand liegen, seine Knie von Wellen umspülen lassen, sich in den Sand eingraben. Aber er konnte ihr nicht entkommen, er war an sie wie Prometheus an den Felsen gekettet, und alle kamen sie wie der Adler und nagten an seinem Knie, die Fans mit ihren Plakaten, die Kamerateams, die Adabeis, das ganze Alphabet der Prominenz, die Schönen und die Operierten, die Reichen und die, bei denen es hinten und vorne nicht reicht, die Schlachtenbummler, die seinen Namen geschrien hatten und ihn wieder schrien, wenn sie ihn mit verklärten Augen sahen. Der Huller, der wär’s gewesen. Jedes Autogramm, das er geben musste, war für ihn ein Spieß, mit dem er in seinem Knie rührte. Jeder Schulterschlag ließ ihn nicht nur in den Boden, sondern in die Bodenlosigkeit seiner Depression versinken.
    Franz Huller war eine Art James Dean auf Skiern gewesen. Seine Karriere hing an einem Kreuzband, das in dem

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