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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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Disziplin seines Rituals durchbrechen. Das Einstecktuch, der Zündschlüssel, die Zigarette am Kaiser, der Klang des Motors, der ihn auf Touren brachte. Man hätte ihn schon erschießen müssen.
     
    Es würde ein unbeschreiblicher Tag werden, wusste Joseph. Der Wilde Kaiser wuchs über sich hinaus, der Himmel würde leuchten, als müsste er blau anlaufen vor Glück. Die Helikopter würden Loopings fliegen und die Münder und Herzen offen stehen. In der ganzen Welt würden sie ob dieser Schönheit den Atem anhalten, wenn die Abfahrer mit angewinkelten Beinen über die Hausbergkante sprangen, unter ihnen Kitzbühel in der Tiefe lag und sie für einen Augenblick unendlich wären, bevor sie sich weiter ins Ziel hinabstürzten und auf dem blanken Eis hinunterrasten in die Hysterie der jubelnden Menge, deren Metastasen sich über die Stadt verteilten und vermehrten.
    Es würde ein Tag werden, den jeder, wäre er erfunden, als übertrieben abtun würde, als nachcoloriert, eine blühende Eisblumenphantasie. »Einen Mörder verteidigen.« Heute würde Kitzbühel in Schönheit sterben, dachte Joseph. Aber wer musste mit seinem Leben dafür bezahlen? Alle Augen werden auf die Piste gerichtet sein oder das Glas, die Flasche in der Hand, alle Blicke würden nach oben gehen.
    Joseph war nicht mehr allein. Der Parkplatz füllte sich mit Bussen und die Busse spuckten Menschen aus, als wäre ihnen während der Fahrt schlecht geworden. Als Joseph zu seinem Auto ging, sah er einen Fast-Auffahrunfall. Wahrscheinlich war der Fahrer eingenickt. Sekundenschlaf, dachte Joseph, und schloss für einen Augenblick die Augen. »Die roten Teufel«, las er auf einem Plakat, das nur noch in Fetzen an der Holzwand hing, und musste an die Skikurse denken. »Und wenn es ein Kind wäre?« Die Pisten würden einsam sein heute, bis auf die Kinder, erschrak er und schloss die Wagentür auf.

4
    Die Pisten waren leer. Wie leergefegt, dachte Ödön Lunge. Als wäre er der einzige Überlebende nach einer schmutzigen Bombe, ein Skifahrer mit Rucksack, der die Absperrungen überwunden hatte und in den Zielraum über die Hausbergkante hinabgerast war, wo die ersten Champagnerkorken knallten und statt Schneeflocken Konfetti durch die Luft schwebte, obwohl es noch viel zu früh zum Feiern war, denn es waren noch nicht einmal die Vorläufer auf der Piste.
    Nein, korrigierte sich Ödön, auf der Streif könne er noch nicht einmal stehen, geschweige denn fahren oder zu einem Schwung ansetzen, er würde einfach nur rutschen, auf dem Hosenboden ins Ziel rutschen, wie ein Kreisel sich endlos drehen, eine Clownsnummer. Wie erbärmlich würde das aussehen?
    Dennoch bekam Ödön die Gewissheit nicht aus seinem Kopf, dass etwas Schreckliches geschehen sei, geschehen sein musste. Und geschehen werde, das wusste er. Aber wahrscheinlich war im Augenblick das einzig Schreckliche in seiner Vorstellung die Streif, die wie ein schwarzes Loch alles an- und aufsaugte, die Menschen an der Mausefalle schluckte. Eine gespenstische Stille, eine weiße Stille.
    Ödön saß allein im Sechserlift, er war einsam über die schwarzen Pisten gecarvt, hatte in breiten Schwüngen immer mehr beschleunigt, dieses seltene Glück kaum fassen können. Es hätte ihn fast aus dem Konzept gebracht, er geriet in einen Rausch, der unberührte Schnee, die Kälte, dieser über allem leuchtende Himmel, der so irreal strahlte, als wäre er coloriert, als wäre das alles ein Werbespot. Er vergaß sich selbst, war nur Schwung, Oberschenkel, dachte an nicht mehr als die Schnalle seines Skischuhs, schleifte seine wunde Seele an der scharfen Kante des Carvers, der durch das Pulver schnitt. Ödön wurde immer schneller – und je schneller er wurde, desto mehr vergaß er, was er vorhatte. Wären die Abfahrten länger, wäre nie passiert, was passieren musste. Er bremste vor dem Lift ab, weit hinter dem Schild »slow down«, nahm das Liftdrehkreuz in den Schwung mit und drückte es wie eine Slalomstange weg, und schon saß er wieder alleine im Lift und konnte es erneut nicht fassen. Er fühlte sich wie in einem Film.
    Ödön musste die Zeit totschlagen, also hatte er sich die Ski angeschnallt. Hätte er unter seinem Verschlag warten sollen? Er beobachtete die ersten Menschen, die in sein Blickfeld kamen. Er stellte sich vor, es wären Zombies, Walking Deads, die ihre Zähne in ihn schlagen wollten, die hungrig waren nach dem letzten Leben, das sie hier suchten, nachdem das ganze Tal verwüstet war, die Zielhänge

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