Seit jenem Tag
Verpflichtung dieser Art auch nur mit dem Hauch eines Zweifels einging, aber die Kluge in mir wusste, dass Sally alles zuzutrauen war.
»Er wird gut zu mir sein, Livvy«, sagte sie plötzlich heftig.
»Ja, aber das ist doch nicht Grund genug«, erwiderte ich ernst. »Ihr könntet doch einfach so zusammenleben …«
Sie warf ihre Hände hoch und winkte den Kellner herbei, um noch eine weitere Runde zu bestellen. Natürlich wollte sie nicht nur mit ihm zusammenleben: Das wäre halbherzig gewesen, und Sally machte keine halben Sachen. Sie wollte meine Meinung hören, und ich war mir ziemlich sicher, dass dies der Grund war, der sie hellhörig gemacht hatte, sie war allerdings entschlossen, nicht auf mich zu hören, was mich in meiner missionarischen Haltung nur noch mehr bestärkte.
»Du brauchst jemanden, nach dem du verrückt bist«, erklärte ich ihr, »auch wenn das bedeutet, dass du noch warten musst.« Sally war ihr Singledasein verhasst, wohingegen ich ein fast unheilbarer Fall war.
»Der Eine«, erwiderte sie theatralisch.
»Ja«, beharrte ich, »der wartet mit Sicherheit da draußen.« Ich erinnere mich, dass ich mir bei diesen Worten Sallys »Einen« vorzustellen versuchte, aber es war schwer, ihn zu fassen, diesen hypothetischen Mann, der sie so raffiniert zu lieben verstand, dass eine Beziehung und kein Duell daraus wurde. Wie viel William ihr wirklich bedeutete, konnte ich nicht richtig einschätzen. Als wir uns trennten, hielt sie mich in einer endlosen Umarmung fest. »Du bist die Beste, Livvy, weißt du das?«, sagte sie und rauschte auf ihren schwindelerregenden Absätzen in Richtung Taxi davon. Ich hingegen ging zur Bushaltestelle der Nachtlinie in dem Gefühl, meine Aufgabe befriedigend erledigt und eine alte Freundschaft erneuert zu haben.
Es war das letzte Mal, dass sie Kontakt zu mir aufnahm. Es plumpste kein schwerer weißer Umschlag auf meine Fußmatte, weit gefehlt. Es kam nicht einmal eine SMS , trotz der zunehmend pathetischer werdenden Nachrichten, die ich ihr schickte, weil ich unmöglich glauben konnte, dass unsere Freundschaft schon wieder in die Brüche ging. Ich bestand darauf, mir von Lola die Hochzeitsfotos zeigen zu lassen, obwohl ich wusste, dass sie sich dabei zutiefst unwohl fühlte. Ich riss eins nach dem anderen aus dem Umschlag, und die Zurückweisung strahlte von mir zurück. Ich versuchte ihr zu erzählen, was passiert war, aber es hörte sich so kleinlich und verbittert nach alleinstehendem Vorstadtmädchen an, das noch ein Hühnchen mit jemandem zu rupfen hatte.
»Ich denke, das wird der Grund sein«, erwiderte Lola scharf, und dabei leuchteten zwei hektische rote Flecken auf ihren plumpen Wangen.
»Was meinst du damit?«
»Sie sagte, du seist so unglaublich negativ. Du hast ihre Gefühle verletzt, Livvy.«
War sie verletzt? Gut möglich, doch sie war ja anscheinend bereits zum Gegenangriff übergegangen. Ich verstand sie nicht und mich selbst auch nicht mehr, was noch schmerzlicher war. Warum war ich so dumm gewesen, mich noch mehr demütigen zu lassen? Das ist eine Frage, die ich nie wirklich hatte beantworten können, eine Frage, die mich seitdem nicht mehr losließ und an mir nagte.
»Du weißt doch, wie sie war«, sagt James und wendet für einen Moment seinen Blick vom strömenden Regen ab. »Sie musste den Ton angeben. Das heißt aber nicht, dass du ihr gleichgültig geworden wärst.«
»Oh, das denke ich schon.«
»Aber wir sprechen hier von Sally, oder? Sie war eine gute Schauspielerin.«
Die Atmosphäre verdichtet sich und stockt, Schweigen hüllt uns ein. Vielleicht war es ein Fehler, ihn mitgenommen zu haben, überlege ich. Doch schon im nächsten Moment bin ich wieder heilfroh, dass er so verlässlich ist und ich ihn an meiner Seite habe.
»Es gibt doch spezielle Partnerbörsen für ältere Semester, die mein Vater mal ausprobieren könnte, oder?«, frage ich ihn, um die Stimmung zwischen uns etwas aufzulockern.
»Ja sicher. Mein letzter Fang, zum Beispiel.«
Ich lache, lache sogar viel zu heftig. Ich werde immer nervöser, je näher wir unserer Abfahrt kommen, mein Herz schlägt wie verrückt, meine Hände sind klamm und kalt.
Wir fahren in die unscheinbare Stadt, in der Sally aufgewachsen ist. Ich erinnere mich an meinen Besuch damals über Ostern, die Gewöhnlichkeit dieser Stadt in völligem Kontrast zu meiner Freundin. Damals war ich fasziniert von ihr, regelrecht hypnotisiert, und ich stellte mir vor, dass sie eigentlich aus einem viel
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