Seit jenem Tag
cooleren Ort wie New York stammen müsste und hier ausgesetzt wurde.
Die Straßen im Umfeld der Kirche waren zugeparkt, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, wie sehr sie das befriedigt hätte. Sie blühte auf, wenn sie Aufmerksamkeit bekam, wollte beliebt sein, das war eine Droge für sie. James hätte um ein Haar einen BMW gestreift, zitternd liegen seine Hände auf dem Lenkrad.
»Mist«, brummt er.
»Ist doch gut, es ist nichts passiert.«
Auf dem Kirchhof drängen sich die Menschen. Sallys vor Schock und Trauer blasse Eltern umgeben von der Familie, der jüngere Bruder an ihrer Seite. Bei ihrem Anblick bildet sich ein Kloß in meinem Hals, weil das gewaltige Ausmaß dessen, was sie durchmachen müssen, schrecklich lebendig wird. Ich bleibe kurz stehen, aber bevor ich mich zusammenreißen kann, nähert sich mir von hinten Sinead, ein Mädchen aus Unizeiten, das eher Sallys Freundin war als meine. Mit Tränen in den Augen umarmt sie mich.
»Es ist schrecklich, nicht wahr?«, sagt sie.
»Ganz furchtbar«, stimme ich ihr zu und überlege, was es sonst noch zu sagen gäbe – absolut nichts, der langen Pause nach zu schließen. Neuigkeiten auszutauschen käme mir krass vor, aber über Sally zu sprechen, nachdem wir so lange nichts mehr miteinander zu tun hatten, fällt mir auch schwer. Warum bin ich hergekommen? Es gelingt mir nicht, meine Gedanken so zu ordnen, dass ich meine Gründe rekapitulieren kann, und doch sagt mir mein Bauchgefühl, dass es richtig war. »Das ist James«, sage ich schließlich.
»Hi!«, sagt Sinead und kann nicht verbergen, wie beeindruckt sie ist. In seinem dunklen Anzug sieht James besonders gut aus. »Wie lange …«
»O nein, wir sind kein Paar«, werfe ich rasch ein. »James ist mein Mitbewohner … er, er kannte Sally.«
Dank der großen Trauergemeinde bleiben uns weitere Peinlichkeiten erspart. Ich tausche mich mit vielen anderen auf gleiche Weise über die Tragödie aus, darunter auch mit einigen, die ich völlig aus den Augen verloren habe. Dieser momentane Schnappschuss verdeutlicht einem auf schreckliche Weise, wie die Zeit vergangen ist. »Das ist ein Schocker, nicht wahr?«, meint Max, ein Kiffer und Windhund, mit dem wir das erste Jahr im Studentenheim zusammenwohnten. Er hat ziemlich zugenommen und was Kriecherisches, was mich jedoch nicht verwundert. »Ich kann es nicht glauben, dass sie wirklich tot ist.« Ich weiche innerlich zurück – dass es ihn schockiert, nehme ich ihm ab, habe allerdings zugleich das Gefühl, dass er das Drama auch genießt. »Was ist mit dir?«, ergänzt er, schon viel fröhlicher. »Verheiratet? Kinder?« Ich murmele eine halbherzige Antwort und werfe einen Blick in die Menge. Berührt diese Menschen der Verlust von Sally oder der makabre Kitzel, die eigene Sterblichkeit vor Augen geführt zu bekommen?
Jetzt fährt der Leichenwagen vor. Die Bestatter öffnen ihn, und die dunkel gekleideten Sargträger treten vor: Sallys Vater ist darunter, genauso wie ein Cousin, den ich einmal kennengelernt habe, und ihr Bruder. Als Letzter nimmt William seinen Platz ein, ihr Ehemann. Er kniet auf dem Boden in Augenhöhe mit einem dunkelhaarigen kleinen Mädchen in einem blauen Samtkleid. Er hält die kleinen Hände in seinen und bedrängt seine Tochter, zu Sallys Mutter zu gehen – ein Anblick, der fast zu schmerzlich ist, um es mit anzusehen. Er umarmt sie, gibt ihr einen kleinen Schubs und hilft dann, den Sarg anzuheben und das Gewicht zu schultern. Er stolpert nicht und bricht auch nicht zusammen, richtet seinen Blick unverwandt auf das Kirchenportal.
Wir folgen ihnen, und der Sarg ruht nun vorne in der Kirche. Ich kann meinen Blick nicht davon losreißen, denn erst durch ihn wird alles real – die Vorstellung, dass diese Holzkiste Sallys toten Körper beherbergt, lässt mich frösteln, ist absurd und grauenhaft. Ich starre darauf und muss ständig daran denken, dass ich ihr nie mehr näher kommen werde. Ich lehne mich an James und sauge mit starrer Miene seine Wärme und Festigkeit in mich auf.
Die in der Kirche geballte Energie ist körperlich spürbar, angespannt und schwer. Ich kann das Schluchzen von Sallys Mutter hören, die ganz vorne in der Kirche sitzt, ein herzerweichendes Geräusch, das in mir das Bedürfnis weckt, zu ihr zu gehen und sie in den Arm zu nehmen, auch wenn dies völlig unangemessen wäre. Aber was ist hier schon angemessen?
Es ist eine katholische Trauerfeier, voller Pracht und Herrlichkeit, die eigentlich
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