Seit jenem Tag
tröstlich sein sollte, jedoch das genaue Gegenteil bewirkt. Ich kann mich nicht erinnern, mich mit Sally je über Religion, geschweige denn den katholischen Glauben unterhalten zu haben. Der Priester versucht sein Bestes, dem Anlass eine spirituelle Ordnung zu geben, indem er davon spricht, dass uns die Gründe für solch ein Unglück oft verborgen bleiben und es tragisch sei, eine solche Trauerfeier leiten zu müssen, aber während er spricht, wird meine Enttäuschung immer größer. Eine Ordnung, ob göttlicher oder sonstiger Art, gibt es hier gewiss nicht – es kann niemals richtig sein, dass Eltern ihre Kinder begraben müssen. Ich wünschte, ich wäre in meinem Glauben gefestigter – nicht dass ich gern so ein gruselig fröhlicher Geistlicher gewesen wäre, der das Tamburin schlägt und die Leute bedrängt, Buße zu tun, aber ich wäre gern überzeugter von dem, woran ich glaube. Es wäre mir lieber, überzeugte Atheistin zu sein, als mir immer nur meinen schwermütigen Halbglauben einzugestehen: Ich wünschte mir, es gäbe etwas, damit Sally mit meiner Großmutter Whist spielen könnte und weise genug wäre, unseren Streit dem Höllenfeuer zu überantworten, aber Wünschen und Glauben sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich konzentriere mich wieder auf den Priester und versuche, mich auf seine Beschreibung Sallys einzulassen, ihre durch seine Worte heraufbeschworene Präsenz zu spüren, aber das brave Schulmädchen und die errötende Braut, die er beschreibt, finden keinen Widerhall in mir.
Mit gebrochenen Stimmen singen wir ein Kirchenlied und lauschen dann ihrem Cousin, der eine Lesung vorträgt. Jetzt tritt William an die Kanzel, langsam und würdevoll. Bevor er seine Stimme erhebt, füllt emotionsgeladenes, gewichtiges Schweigen die Pause.
»Entschuldigt bitte«, sagt er und räuspert sich. »Hier zu stehen ist so außergewöhnlich, dass es mir schwerfällt, nicht den Faden zu verlieren. Das letzte Mal fand ich mich zu meiner Hochzeit hier ein und hätte nie gedacht, unter diesen Umständen hierher zurückzukehren.« Trotz seiner Qual findet er wunderbare Worte. Er ist unglaublich vornehm, aber das ist nicht der Eindruck, der haften bleibt, sondern es gelingt ihm, einen mit seinen Gedanken auf den Weg mitzunehmen, den er damit gestaltet. »Als ich Sally das erste Mal begegnete, hätte ich nie geglaubt, dass jemand, der so vital und hübsch war wie sie, für einen langweiligen alten Pupser wie mich was übrig haben könnte.« Es war eine unglaubliche Erleichterung, dass die Stimmung ein wenig aufgelockert wurde. »Aber so unglaublich es ist, sie tat es. Nun brauchte ich sie nur noch davon zu überzeugen, dass ich mehr war als ein netter Zeitvertreib, und damit begann mein erbarmungsloses Werben. Sie war viel zu klug, sich anmerken zu lassen, dass ich bei ihr Eindruck gemacht hatte, und ließ mich lange zappeln, bis sie endlich meinen Antrag annahm. Mein Freund Colin wird sich daran erinnern, wie ich herbeigeeilt kam, weil ich um ihre Hand anhalten wollte, sie jedoch verpasste den Eurostar, auf den ich geduldig wartete, die Schachtel mit den Ringen in der Hand.« Nun nimmt sie langsam vor mir Gestalt an, so flatterhaft wie sie war. Tatsächlich musste man sich oft über sie ärgern, aber trotzdem konnte man ihr nie böse sein. Es war mir unbegreiflich, wieso ihre damaligen Liebhaber von der Uni so beharrlich bei ihr blieben – für Sally war es ein Spiel, um zu sehen, wie weit sie gehen konnte. »Schließlich machte ich ihr auf dem Eiffelturm einen Heiratsantrag und machte mir dabei ernsthaft Sorgen, sie könnte mich allein wegen dieses Klischees ablehnen. Und da sie Sally war, hätte sie es tun können – aber glücklicherweise tat sie es nicht, eine Tatsache, die viele von euch bezeugen können, weil ihr bei unserer Hochzeit dabei wart, hier in dieser Kirche.« Ich nicht, sage ich mir narzisstisch. Ich nicht. Williams Blick ist auf die Mitte des Raums gerichtet, er richtet sich innerlich auf und wendet sich dann seiner Tochter zu, die er schmerzverzerrt anlächelt. »Und es dauerte nicht lang, und wir waren auf dem Weg nach New York, wobei Sally selbstlos ihren gut bezahlten PR -Job aufgab, damit ich meinen neuen Posten annehmen konnte. Doch ich denke nicht, dass sie es jemals bereut hat, denn so konnte sie ausschließlich für unser Tochter Madeline da sein.« Er sieht sie bei seinen Worten an. Von meinem Platz kann ich nur ihr Profil erkennen, ihre Miene ist gefasst, als würde sie das Gewicht
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