Seit jenem Tag
nach diesem Zwischenfall hier noch eine Zukunft haben.«
»Ich auch nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich war sehr unprofessionell«, erklärte ich mit fester Stimme. »Ich denke einfach, ich bin nicht mehr von ganzem Herzen bei der Sache. Und deshalb kündige ich auch.«
»Kündigen?«, sagte sie mit einem amüsierten Beben in ihrer Stimme. »Das ist meine Livvy, das mir so gut bekannte Mädchen, das es allen immer recht machen möchte. Sie müssen nicht gleich kündigen. Wir finden für Sie eine Assistenzstelle mit weniger Verantwortung, aber in einem Jahr werden Sie wieder dort sein, wo Sie waren.«
»Ich kündige nicht Ihretwegen, ich kündige meinetwegen. Ich will diesen Job nicht mehr machen. Ich hasse ihn sogar.«
»Sie hassen ihn?« Sie lacht gönnerhaft. »Glauben Sie mir, Livvy, die Leute stehen einmal um den Block Schlange für einen Job wie den Ihren.«
»Sie haben recht, streichen Sie das. Es ist nicht der Job, den ich hasse, es ist der Job, den ich für Sie mache.« Ich hörte, wie sie die Luft anhielt, und wurde sofort ein wenig reumütig (und machte mir klar, dass ich irgendwann auch ein Zeugnis brauchen würde). »Ich habe so viel von Ihnen gelernt, Mary, und werde Ihnen dafür auch immer dankbar sein, aber es ist an der Zeit, erwachsen zu werden. Ich weiß nie, wo ich stehe, und ich kann so nicht weiterleben.«
»Nun machen Sie sich doch nicht lächerlich. Was wollen Sie denn tun?«
»Ich werde Teilzeit arbeiten, wenn es sein muss, und ich möchte herausfinden, ob ich schreiben kann. Die Wahrheit ist, mein Leben passt nicht mehr zu mir.«
Und plötzlich, mitten im Central Park, merkte ich, dass ich frei war.
»Gemütlich«, sagt Jules und sieht sich in der winzigen Wohnküche um, dem Herzstück des Apartments. Komischerweise ist es sogar noch kleiner als die schmuddelige Bude in New Jersey, aber darauf kommt es nicht an, da man das Gefühl hat, tatsächlich in jemandes Zuhause zu sein. Wir sitzen an den beiden Enden des Sofas mit dem Cordbezug und halten, die Knie ans Kinn gezogen, Gläser mit billigem Rotwein in den Händen.
»Ist es für dich okay, so ganz ohne Nathaniel?«
Eine Sekunde lang sieht sie mich gequält an, dann lächelt sie.
»Es sind ja nur drei Tage. Das wird ganz toll sein für die beiden. Und für uns wird es ebenfalls wunderbar sein.« Sie schüttelt sich. »Jetzt bin ich für kurze Zeit einfach nur mal ich selbst.«
»Ich hab ihn wahnsinnig gern, finde es aber total aufregend, dass wir das machen.«
»Ich auch.« Sie nimmt meine Hand. »Weißt du, es fehlt mir genauso wie dir.«
»Wirklich?«
»Selbstverständlich.«
Ich habe ihr bereits alles erzählt, doch wir gehen die Einzelheiten noch mal durch, und als ich bei meiner letzten Begegnung mit William angekommen bin, kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Ich vermisse ihn so sehr«, sage ich. Die Kehrseite der Medaille, so viel Zeit für mich zu haben, ist die, dass ich alle Zeit der Welt hatte, seine Abwesenheit zu spüren. Richtig bewusst geworden ist mir das erst jetzt, denn während meiner ganzen Suche nach Antworten war ich doch immer irgendwie mit ihm verbunden und wusste zumindest in groben Zügen, wie sein Leben verlief. Jetzt bleibt nur noch der Verlust, der lange Weg vor mir, den ich gehen muss, bis ich mich mit dem Gedanken anfreunden kann, jemand anderen genauso zu lieben, wie ich ihn liebe.
»Er hat dir doch eine ganz reizende E-Mail geschrieben«, sagt Jules.
»Ich weiß.«
Doch dadurch lässt sich die Tatsache, dass es vorbei ist, nur noch schwerer ertragen. Er hat sie mir am Mittwoch nach unserem Treffen geschickt, und ich habe sie mir tränenüberströmt in einem Internetcafé ausgedruckt. Und seitdem immer bei mir getragen.
Liebe Olivia,
so bizarr und unangemessen es auch klingen mag, es war wirklich eine große Freude, Dich letzte Woche zu sehen. In den Wochen davor musste ich ständig an den Schmerz denken, den ich Dir zugefügt habe, und machte mir Vorwürfe wegen meiner Feigheit, die ich bei Madelines Taufe an den Tag gelegt habe. Die Freundlichkeit, mit der Du Dich in den vergangenen Monaten um uns gekümmert hast, werde ich nie vergessen. Auch sie wird sie nicht vergessen, obwohl ihre Erinnerungen nicht bewusster Natur sind. Du hast uns beiden in einer Übergangszeit geholfen, die fast unerträglich war und auch weiterhin ist.
Und das ist der Grund, weshalb ich es nicht verantworten konnte, Dich weiterhin seelisch auszubeuten und Dir gleichzeitig so wenig bieten zu können.
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