Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
Vom Netzwerk:
umgehen, ein allem Anschein nach normales Leben führen, aber es ist ein ständiger Kampf. Ich bin überzeugt davon, dass es ihr nicht darum ging, dir wehzutun.«
    Er sitzt mit zu Fäusten geballten Händen da, und seine Schläfen pochen.
    »Hast du das schon immer gewusst?«
    »Nein! Natürlich nicht. Ich habe ihre Tabletten gefunden, in der Wohnung. Sie waren auf ihren Mädchennamen ausgestellt.«
    Er versinkt in tiefem Schweigen, und ich sitze da und warte darauf, dass er wieder ansprechbar ist.
    »Sie hätte es mir sagen sollen«, erklärt er emphatisch. »Was verdammt noch mal habe ich getan, dass sie es mir nicht sagen konnte?«
    Ich betrachte sein hilfloses Gesicht und suche nach etwas, das ihm helfen könnte.
    »Das war typisch Sally. Sie wollte unter keinen Umständen Schwäche zeigen. Und …« Ich versuche meine Gedanken in Worte zu fassen. »Ich weiß nicht … aber ich denke, es gab womöglich einen Teil in ihr, der sich selbst gehasst hat, auch wenn sie so aufbrausend war. Das würde auch erklären, warum sie manchmal den Menschen mit Hass begegnete, die ihr in Liebe zugetan waren. Die Zuneigung, die wir ihr entgegenbrachten, stand dann im Gegensatz zu dem, was sie insgeheim irgendwo tief drinnen empfand.« Ich lasse die Schultern fallen. »Aber vielleicht täusche ich mich auch.«
    »Es ergibt einen Sinn für mich.« Er wendet sich ab. »Bei ihr durfte nichts so bleiben, wie es war. Frieden wusste sie nicht zu schätzen.«
    »Das war ihr zu gewöhnlich, zu alltäglich.«
    Achselzuckend schüttelt er den Kopf, sieht mich forsch an.
    »Warum hast du das getan? Sag mir die Wahrheit, Livvy. Ich muss es wissen.«
    Sein bohrender Blick jagt mir fast Angst ein. Er nagelt mich fest, fordert eine Antwort, von der ich nicht weiß, ob ich sie selbst kenne.
    »Ich habe mir das nicht vorgenommen. Ich wollte einfach nur für dich da sein, aber dann habe ich entdeckt …« Ich spüre, dass ich erröte. Ich wollte die Grenze nicht überschreiten, doch ich muss es tun. »… dass ich in deiner Nähe sein wollte. Und hatte dabei immer das Gefühl, die Dinge würden keinen Sinn ergeben. Ich habe es für dich getan, William, weil ich sah, dass du völlig ahnungslos warst, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich es auch für mich getan. Bis zu ihrem Tod habe ich es nicht gewusst, doch ich war jahrelang von ihr gefangen gewesen.«
    »Danke«, sagt er, steht auf und legt vierzig Dollar auf die Theke. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich muss ein paar Dinge klären. Macht es dir etwas aus, wenn ich dich allein lasse?«

Kapitel 26

    Drei Wochen später
    Es ist neun Uhr, als das Taxi schließlich vor dem Haus anhält: Ich renne die drei Treppen des miefigen Treppenhauses nach unten und stoße die stählerne Eingangstür auf. Da steht sie, meine Schwester, und lässt die Straße in Chinatown auf sich wirken und versucht, alles in sich aufzunehmen. In jeder Richtung blinkt die Weihnachtsbeleuchtung über den Menschenmassen, die auf beiden Straßenseiten aus den Restaurants und Lebensmittelläden strömen. Ich habe diese Geschäftigkeit während der vergangenen Wochen lieben gelernt, weil sie mir erlaubt, allein zu sein, ohne mich allzu einsam zu fühlen, aber nun, da der liebste Mensch auf der ganzen Welt vor mir steht, bin ich überglücklich, dass die Einsamkeit ein Ende hat.
    »Nun sieh mal einer an, du und deine New Yorker Wohnung!«
    »Glaub mir, die ist alles andere als ausgefallen«, sage ich, nehme Jules die Tasche ab und gehe voraus.
    Das ist sie wirklich nicht. Dieses vollgestopfte kleine Apartment eines Professors an der NYU , der über Weihnachten die Stadt verlassen hat, habe ich relativ günstig gemietet. Es ist genau das Richtige für mich für den Übergang, denn seit Kurzem bin ich arbeits- und heimatlos. Der Augenblick der Wahrheit bei Mary kam am Montag, nachdem ich den ganzen Sonntag kreuz und quer durch den Central Park gelaufen war und dabei hin und her überlegt habe, um letztendlich den Entschluss zu fassen, dass ich unmöglich jetzt schon nach Hause fahren konnte.
    »Ihre mangelnde Professionalität finde ich erstaunlich«, begann sie, »aber vielleicht liegt das an meiner eigenen Naivität. Mir scheint, ich habe die ganzen letzten Jahre nichts anderes getan, als Ihnen Zugeständnisse zu machen. Hätte ich nicht mit dem Rücken zur Wand gestanden, hätte ich Sie niemals mit dieser Aufgabe betraut, und wie sich herausstellt, hat mein Instinkt mich nicht getäuscht. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie

Weitere Kostenlose Bücher