Seit jenem Tag
so. Wenn ich glücklich bin, ist er glücklich, was schadet’s also?
20.3. – Mara und ich trafen uns zum Mittagessen in The Spotted Pig, und sie meinte, ich würde regelrecht strahlen! Hätte ein schlechtes Gewissen haben sollen, aber stattdessen musste ich kichern. Ich bin ein schlechter Mensch.
25.4. – Ms Schulkonzert. Sie sah so süß aus auf der Bühne in dem weißen Kleid, das ich ihr gekauft habe (die Quittung habe ich im Aschenbecher verbrannt, W würde durchdrehen, aber ihre Mama muss doch auf sie stolz sein können). Musste ständig heulen und mein Gesicht in meiner Handtasche verstecken. Ich liebe sie so sehr. Wenn ich doch nur eine bessere Mummy sein könnte. W kann ihr wirklich viel besser als ich zeigen, wie sehr er sie liebt. Hoffentlich wird sie ihn nicht allzu sehr vermissen.
4.5. – Keine Anrufe, nicht einer. Hätte für mich fast einen Flug nach L.A. gebucht, um ihn zu überraschen, aber ich möchte nichts falsch machen. Ich wurde so wütend, dass ich nicht mehr wusste, was ich mit mir anstellen sollte. Wie ich das HASSE . Ging zu Dr. H. zu einem Notfalltermin, aber er macht es nur schlimmer und gibt mir das Gefühl, völlig durchgeknallt zu sein. Rede mir ständig ein, dass alles gut wird, wenn wir erst mal richtig zusammen sind.
27.5. W und ich. Gingen mit Maddy Burger essen und sangen auf der Heimfahrt alle im Auto. Ach könnte es doch nur immer so sein. Ich wünschte mir, der heutige Tag würde nie enden und ich könnte dem morgigen trauen.
Es gibt noch weitere Einträge, ich blättere sie allerdings einfach durch, anstatt sie wie ein Amateurdetektiv genau unter die Lupe zu nehmen. Mir wird klar, dass ich weit genug gegangen bin und es nun an William ist, die letzte Reise mit ihr zu machen und zu entscheiden, in welcher Geistesverfassung sie tatsächlich war. Die gekritzelten Termine sind fast genauso traurig wie die Tagebucheintragungen – Maddy, Zahnarzt, Schneiden und Färben beim Friseur –, Bruchstücke einer Normalität, der sie offenbar nur wenig abgewinnen konnte. Und es verwundert nicht, warum Madeline so heikel ist, was ihren Namen betrifft, sie Maddy zu nennen war offenbar das ganz besondere Privileg ihrer Mama.
Ich fühle mich zunehmend fehl am Platz, da das Samstagabendausgehvolk langsam eintrudelt. Es sind Paare aller Altersgruppen – übercoole Mittzwanziger, deren trendige Brillen zusammenstoßen, wenn sie einander küssen, abgespannte Eltern in den Mittdreißigern, die einen Abend in Zweisamkeit bitter nötig haben, selbst ein weißhaariges Paar am Kopf eines großen Tisches, das offenbar auf seine unpünktliche Familie wartet, um in deren Kreis einen Jahrestag zu feiern. Ich werfe einen Blick auf meinen Kellner, um mich zu vergewissern, ob er mich nicht loswerden möchte, aber er teilt mir mit einem warmherzigen Lächeln und einer Geste mit, dass der Tisch mir gehört, solange ich ihn brauche. Alle Szenen, die ich verfolge, treffen mich direkt ins Herz. Ich bin so froh, hier zu sein und das an mir vorbeirauschende Leben beobachten zu können. Ich hole mein Telefon heraus und mache den Anruf, den ich sowohl gefürchtet als auch herbeigesehnt habe.
»Es tut mir leid, William, dass ich dich mit meinem Anruf überrumpele. Ich bin in New York.«
Ich sage ihm, dass ich mit ihm reden muss, was er nicht lange hinterfragt, sondern worauf er mir als Treffpunkt auf recht geschäftsmäßige Weise ein Hotel in der Nähe namens Venice nennt. Ich warte auf ihn im gedämpften Licht der Lobby und halte mit zitternden Händen den Terminkalender fest. Vorher war ich noch in meinem Hotel, um den Mietvertrag, das Telefon und den Chip zu holen. Es ist an der Zeit, alles zu übergeben.
Bis er endlich kommt, vergehen achtundzwanzig nicht enden wollende Minuten. Tadellos gekleidet in einem marineblauen Mantel, durchschreitet er die Türen und strahlt noch immer dieses fast pathologische Selbstvertrauen aus, diese Pose, die nie ins Wanken gerät. Und doch erkenne ich bei seinem Näherkommen Risse. Seine Augen scheinen noch tiefer in den Höhlen zu liegen als sonst, darunter bläuliche Ringe, die an Blutergüsse erinnern. Seine Haut ist fahl, und sein Kinn ist stoppeliger, als er das sonst je zugelassen hat. Und als ich dieses schattenhafte Selbst erkenne, das unter der Oberfläche liegt, so unglaublich verletzlich, so unglaublich einsam, kann ich nicht anders, als ihn wieder zu lieben. Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich es aushalte hierzubleiben.
»Es tut mir sehr leid«, sagt
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